Drei Schritte zu dir

  • dtv
  • Erschienen: Mai 2019
  • 3

aus dem Englischen von Nina Frey; Hardcover, 304 Seiten

ISBN: 9783423762526

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Sabine Bongenberg
9101

Jugendbuch-Couch Rezension vonJun 2019

Das Wasser war viel zu tief

Das Krankenhaus ist für die 17jährige Stella ein zweites Zuhause. Sie leidet unter der Lungenkrankheit Mukoviszidose und allein eine Spenderlunge kann ihr helfen, ihr Leben zumindest zu verlängern. Stella sieht ihr Leben als eine Mission: Sie ist es, die verhindern kann, dass ihre Eltern verzweifeln, sie plant und regelt weiterhin die fröhlichen Aktivitäten ihrer Klassenkameraden, sie kennt den Behandlungsplan ihrer Krankheit besser als jeder Arzt und führt ein ganzes Regiment von Medikamenten wie den planvollen Einsatz von Waffen gegen einen unerbittlichen Feind.

Will dagegen, der unter der ansteckenden Krankheit Zystischer Fibrose (im Buch B. cepacia) leidet, ist anders gestrickt. Er zieht die Behandlungen noch irgendwie durch, bis er 18 ist, und dann ist sein fester Vorsatz abzuhauen, weg von der ständigen Bevormundung seiner Mutter, die in ihm nur noch ein Problem, das es zu behandeln gilt, zu sehen scheint, weg von den Ärzten, weg von Krankenhäusern und Therapien.

Diese beiden Helden – unterschiedlicher wie sie kaum sein können – sind die Hauptakteure von Rachael Lippincotts Roman, den sie nach einem Drehbuch der beiden Autoren Mikki Daughtry und Tobias Iaconis verfasste. Diese umgekehrte Vorgehensweise – normalerweise ist ja zuerst das Buch da – erklärt möglicherweise das teilweise rasante Tempo des Romans, ist aber vielleicht auch für einige Lücken der Geschichte verantwortlich. Manche Themen werden zwar angerissen, aber nicht aufgeklärt, dennoch bleibt die Geschichte trotzdem gut verständlich. Stella und Will werden jeweils als Ich-Erzähler vorgestellt, die sich kapitelweise abwechseln. Das ermöglicht dem Leser, die Reaktionen des anderen jeweils hautnah zu erfahren und lässt damit zu, dass aufgesetzte coole Reaktionen oder auch Abwehrhandlungen kein Geheimnis bleiben. Der Leser weiß somit grundsätzlich mehr als die beiden Helden, wird aber auch nur schrittweise in deren Leben eingeführt.

Liebe auf Abstand

Dass Will und Stella sich ineinander verlieben, ist nur eine Frage der Zeit. Grundsätzlich wäre es auch eine Frage der Zeit, die beiden komplett voneinander zu trennen, denn der Keim, den Will in sich trägt, ist insbesondere bei Patienten mit Mukoviszidose wegen seiner hohen Antibiotikaresistenz ein gefürchtetes Problem. Erlaubt sind daher nur Kontakte, die einen Abstand von zwei Metern nicht unterschreiten, aber wie soll das bei einem verliebten Teenager-Pärchen machbar sein? Will und Stella entwickeln daher Strategien, die eine größtmögliche Nähe zulassen. Dieser Vorsatz mag allerdings nur gelingen, wenn das Leben einen relativ gelassenen Verlauf nimmt. Was aber, wenn die Wellen hochschlagen, wenn die helfende, haltende Hand des Partners benötigt wird? Hier wird der Leser – ebenso wie die beiden Helden – hin und her gerissen, weiß er doch, dass ein unmittelbarer körperlicher Kontakt zwischen beiden fatale Folgen haben kann; weiß er aber andererseits auch, dass Worte nach menschlichen Tragödien alleine nicht ausreichen.

Sein Leben trotz aller Widrigkeit selbst in die Hand nehmen

Drei Schritte zu dir, das bereits allein durch den schön aufgemachten Buchtitel in Form einer geblümten Lunge besticht, erzählt einen zarten und ungewöhnlichen Liebesroman. Es ist sicherlich wieder die alte Geschichte der beiden Königskinder, die wegen des tiefen Wassers nicht zueinanderkommen konnten, aber zart, einfühlsam und berührend neu erzählt. Der Leser leidet mit den beiden Verliebten mit, aber auch mit den Randpersonen, die ebenfalls von der Liebesgeschichte berührt und betroffen sind. Sei es auch möglicherweise nur, weil sie beide wegen vorheriger schlechter Erfahrungen nicht zueinander können oder wollen. Schön ist hier, dass jeder aus der Not geborene Strategien aufweist, die aber begründbar sind und somit wieder menschliche Reaktionen und Emotionen offenbaren. Schön ist aber auch, dass neben dieser Liebesgeschichte geschildert wird, wie Stella selbst ihr Leben in die Hand zu nehmen beginnt und sich einerseits aus dem Rhythmus löst, den die Krankheit und die Therapie bedingen, andererseits aber auch beginnt, nicht mehr alleine nach den Erwartungen der Anderen zu tanzen.

Fazit:

Der Leser hofft mit Stella und Will auf ein Wunder, von dem er doch weiß, dass es wohl kaum eintreten kann. Eventuell stellt die Lösung des Autorentrios die größte Annäherung an dieses gewünschte Wunder dar, schafft im Gegenzug aber auch eine Auflösung, die sich einerseits sehr zufällig und andererseits auch mit sehr vielen Möglichkeiten präsentiert und natürlich den dramatischen Verzicht nicht entbehrt. Vielleicht hat sich das Buch hier sehr an der Drehbuchvorlage orientiert, die möglicherweise nicht immer von Tod und Verlust sprechen will. Andererseits – vielleicht gelingt es diesen beiden dann doch, eine Brücke über das tiefe Wasser zu bauen. Zu wünschen wäre es ihnen.

Wer nicht genug von Stella und Will bekommen kann, kann sich deren Geschichte dann auch ab dem 20.06.2019 im Kino ansehen. Hier geht es zur Film-Kritik auf der Jugendbuch-Couch.
 

Drei Schritte zu dir

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