Der Feind ganz nah - Gewalt in der Familie

  • Arena
  • Erschienen: Januar 2009
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  • Arena, 2009, Originalausgabe
Der Feind ganz nah - Gewalt in der Familie
Der Feind ganz nah - Gewalt in der Familie
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Corinna Abbassi-Götte
7101

Jugendbuch-Couch Rezension vonOkt 2009

erschreckend  

Kurzbeschreibung

Matti kann sich nicht daran erinnern, wann es zum ersten Mal passierte. Wann sein Vater zum ersten Mal mit zornrotem Gesicht auf ihn zukam und zum Schlag ausholte. Vielleicht als Matti vier, vielleicht als er fünf Jahre alt war. Seitdem hat er Angst. Um sich, um seine Mutter und die kleine Schwester. Und zugleich spürt er, dass da noch ein anderes Gefühl in ihm ist, das allmählich immer stärker wird: Wut!

Mattis Vater tyrannisiert die Familie. Immer wieder hagelt es Schläge. "Er meint das nicht so. Er liebt uns doch." beschwichtigt die Mutter Matti jedes Mal, doch es geschieht immer wieder. Und eines Tages eskaliert die Situation.

Es geht um Gewalt in der Familie, und der ganz nahe Feind ist in diesem Fall Mattis Vater. Er entpuppt sich als regelrechter Psychopath mit simplen Charakter, der als Herr des Hauses die absolute Macht und Kontrolle über seine Familie hat. Handeln Matti, seine kleine Schwester Freddy oder die Mutter nicht so, wie er es will, schlägt er zu. Oft spürt die Familie, wenn es gefährlich wird, doch genauso oft kommen die Schläge ganz unvermittelt.

Das Buch beginnt mit einem Prolog, in dem man erfährt, wie die Situation von Mattis Familie heute ist, vier Jahre nach den im Buch geschilderten Ereignissen. Matti, Freddy und die Mutter konnten dem Vater entkommen, ein äußerst beruhigender Gedanke, denn durch verschiedene Andeutungen ahnt man bereits jetzt, was die drei erleiden mussten.

Matti beginnt seine Erzählung mit einer auf der Servierplatte verrutschten Wurstscheibe. Wegen dieser "Unachtsamkeit" zieht der Vater die Mutter zur Rechenschaft, und sofort ist klar, wie dieser tickt. Matti berichtet von weiteren Ereignissen - eine chronologische Folge von unheilvollen Episoden, deren jeweiligen Ausgang man bereits nach wenigen Worten erahnt. Natürlich handelt es sich dabei um völlig normale, alltägliche Situationen.

Matti und Freddy spielen wie ganz normale Kinder, doch sie müssen stets vorsichtig sein und die Anweisungen des Vaters im Kopf behalten. Dabei passt Matti nicht nur auf sich selbst auf, er will als großer Bruder natürlich seine kleine Schwester beschützen und hat Angst um seine Mutter. Sagt der Vater, sie müssen pünktlich sein, ahnt man bereits, dass sie sich verspäten. Lassen sie ihre Inliner im Flur liegen, weiß man, dass diese Unordnung Grund für Schläge ist. Als Matti schließlich ein neues Fahrrad – ein Siegerrad - bekommt und an einem Radrennen teilnehmen soll, weiß man, dass er diesen Wettkampf nicht gewinnen und seinen siegesgewissen Vater in der Öffentlichkeit enttäuschen wird. Zum Magenumdrehen ist das, was danach geschieht - und am Ende liegt die Mutter mit einem Nasenbeinbruch bewusstlos in der Küche.

Der Charakter des Vaters ist zwar ein wenig klischeebeladen gezeichnet – er ist zudem noch Hundezüchter und Jäger - doch dies verzeiht man sofort. Immerhin geht es hier nicht um einen möglichst interessanten Vater, es geht darum, die hochgradig falschen Verhaltensweisen der Eltern zu zeigen. Ein Vater darf nicht schlagen, doch auch die Mutter verhält sich nicht richtig. Immer wieder glaubt sie den Entschuldigungen des Vaters und vertröstet auch ihre Kinder damit. "Er liebt uns doch. Er meint das nicht so. Er wollte das nicht." beschwichtigt sie den schlimm verprügelten Matti immer wieder unter Tränen. Natürlich schlägt der Vater immer wieder zu.

Erst als Matti den einfühlsamen Berry kennenlernt, der als Kind ebenfalls geschlagen wurde, gibt es einen ersten Hoffnungsschimmer. Berry versucht zu helfen, doch seine Möglichkeiten sind beschränkt. Allein die Tatsache, dass ihn Matti jederzeit zur Hilfe rufen kann, beruhigt jedoch. Und sein Einschreiten führt schließlich dazu, dass die Familie vier Jahre später nicht mehr im großen Haus des Vaters lebt, sondern weit weg in einer kleinen Wohnung - in Frieden.

Matts Geschichte hat mich nicht nur berührt, sondern vor allem schockiert und erschreckt. Das bereits im Prolog entstandene mulmige Gefühl konnte ich während des gesamten Buches nicht abstreifen. Jedes Mal ahnt man bereits im Voraus, was geschehen wird, und so hängt bereits über jeder scheinbar harmlosen Situation das Unheil. Und jedes Mal tritt die Vorahnung ein, und der Vater schlägt zu. Man wünscht sich, dass die Mutter endlich die Notbremse zieht und sich und die Kinder in Sicherheit bringt, doch man weiß, nicht zuletzt durch den Prolog, dass die Ereignisse erst eskalieren müssen, damit sich etwas ändert.

Natürlich erzählt dieses Buch keine überraschende oder möglichst originelle Geschichte, denn dafür wäre dieses Thema völlig falsch. Es will aufklären, die Augen öffnen und eventuell Betroffenen helfen. Und dies schafft es auf ganzer Linie. Es zeigt deutlich, dass der Entschuldigung eines schlagenden Vaters nicht zu trauen ist, Gewalt und Schläge nicht einfach aufhören und die Situation lebensgefährlich für die Betroffenen werden kann. Außerdem deutet es an, wie die psychischen Auswirkungen auf die Misshandelten sein können. Die Kernaussage ist und bleibt: Bei Gewalt in der Familie muss SOFORT gehandelt werden. Mattis Geschichte hätte auch anders ausgehen können.

FAZIT

Die Geschichte von Matti und seiner Familie steht beispielhaft für das Thema "Gewalt in der Familie". Susanne Clay berührt und schockiert mit ihrem Buch, öffnet gleichermaßen die Augen und bietet so wertvolle Hilfe für eventuell selbst Betroffene.

Der Feind ganz nah - Gewalt in der Familie

Susanne Clay, Arena

Der Feind ganz nah - Gewalt in der Familie

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