Atmosphäre auf sich wirken lassen
Die Uhr zurück drehen: Das möchte Maggie. Fünf Jahre ist es her, seit Frontfrau Linna der gemeinsamen – und höchst erfolgreichen – Band Linna singt durch ihren plötzlichen Ausstieg den Boden unter den Füssen weggezogen hat. Nun ist die Gelegenheit da, an den damaligen Erfolg anzuknüpfen. Linna singt soll an einem Stadtfest nochmals auftreten. Während sich Maggie, Jules, Simon und Falk einig sind, zögert Linna. Seit ihrem Ausstieg aus der Band hat sie nie mehr gesungen und zweifelt daran, es jetzt zu können. Trotzdem lässt sie sich breit schlagen, mit den anderen - und dem neu dazu gestoßenen Tobias - in eine abgelegene Berghütte zu fahren, um dort für das Konzert zu proben. Kaum in der einsamen Hütte angekommen, stellt sich heraus, dass sich die Bandmitglieder nicht nur stark verändert haben, auch ihr Verhältnis untereinander hat einen Wandel erlebt. Das Proben-Wochenende wird mehr und mehr zu einer gegenseitigen Abrechnung. Vor allem Linna gerät unter Beschuss. Maggies einstige Eifersucht auf Linna erwacht von neuem und steigert sich in Hass. Falk, Linnas heimliche Liebe und der Grund für ihren Rückzug aus der Band, will nichts mehr von der gemeinsamen Liebesnacht damals wissen. Und Tobias versucht mit aller Macht, Linna für sich zu gewinnen, obwohl sie ihm zu verstehen gibt, dass sie nicht interessiert ist. Nach und nach fallen bei allen die Masken, die sie so lange vors Gesicht gehalten hatten. Die Situation eskaliert.
Der Roman von Bettina Belitz verlangt die Bereitschaft, Bilder auf sich wirken zu lassen. Erst wer sich zurück lehnt und die Szenen auf sich wirken lässt, wird die Kraft erkennen, die in dieser Geschichte steckt. Die Autorin hat ein hervorragendes Bild von Gruppendynamik, die sich immer schneller in eine zerstörerische Richtung bewegt, gezeichnet. Die zwischen zwei einzelnen Band-Mitgliedern bestehende Verbindung wird im Gefüge der Gruppe schwammig und nicht mehr greifbar. Dadurch ist keiner der Gruppe in der Lage, sich an festen Werten zu orientieren. Die damit verbundene Verunsicherung verstärkt negative Gefühle - hier vor allem die Eifersucht - und macht jede gemeinsame Unternehmung zu einem Tanz auf dem Vulkan. Erschwerend kommt der Stressfaktor Wetter dazu. Die an sich schon einsam gelegene Berghütte wird eingeschneit, womit die lose Verbindung zur Außenwelt nahezu vollständig in sich zusammen bricht. Die jungen Leute sind völlig auf sich gestellt und müssen sich physisch wie auch psychisch einer Ausnahmesituation stellen.
Bettina Belitz ist es gelungen, ein feines Gewebe von Stress-Situationen zu bilden und das Ganze zu einem gut aufgebauten Psychothriller zusammen zu fügen. Gekonnt baut die Autorin Bilder auf und lässt den Leser immer wieder dem Schein erliegen, bevor sie ihm nach und nach das ganze Ausmaß der jeweiligen Situation aufdeckt. Leider strapaziert Bettina Belitz diese Erzählform im Laufe der Zeit zu stark. Kann sie mit diesem Stilmittel anfänglich eine dichte Atmosphäre zaubern, zieht sich die Geschichte vor allem im Mittelfeld hin und droht, massiv an Tempo zu verlieren. Zwar kann die Autorin die Geschichte stabilisieren, bevor sie endgültig ins Rutschen kommt. Doch auf die anfängliche Höhe bringt sie sie trotz allem Bemühen nicht mehr. Das ist bedauerlich, denn vor allem das erste Drittel des Romans beweist, dass hier noch Steigerungspotenzial vorhanden gewesen wäre.
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