Auf der Suche nach sich selber
Die Schule ist abgeschlossen, die Zukunft ein nebliges Gebilde ohne Konturen: Romy und Anja wissen noch nicht, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Sie leben in den Tag hinein und genießen den Sommer ohne Verpflichtungen. Dem Druck ihrer Eltern, sich mit ihrer Zukunftsplanung zu befassen, weicht Romy mit einem immer stärker steigenden Alkoholpegel aus. Auch mit Jan hat Romy nichts mehr am Hut: Sie beendet die Beziehung, die von ihrer Seite her ohnehin nie richtig ernst gemeint war. Dass Jan unter der Trennung leidet, belastet die Stimmung in der Clique, zu der die Beiden gehören. Auch Romys beste Freundin Anja steht mit den Füssen alles andere als fest auf dem Boden. Das unkonventionelle Leben, das sie bis jetzt geführt hat, zeitigt Folgen, Anja driftet in einen mystischen Schwebezustand ab. Eine Hitzewelle heizt die ohnehin gereizte Stimmung immer mehr auf – bis die Situation eskaliert.
Marthe Kunstmanns Wettwechsel ist kein Roman, den man mal eben wegliest. Dafür bleibt sie über zu weite Strecken einer wenig spektakulären Erzählweise treu. Zwar steigert die Autorin immer mal wieder das Tempo, das aber bald schon wieder in sich zusammen bricht und einem vor sich hin plätschernden Fluss gleicht. Es wäre aber auch nicht richtig, dem Roman eine seichte Handlung zuzuschreiben. Vielmehr beobachtet Marthe Kunstmann sehr genau und gibt die dadurch gewonnenen Eindrücke ohne Verknappung wieder. Auf diese Weise kommt es zu einer sehr lebensnahen Schilderung, die dem Tempo des echten Lebens folgt. Diese Form der Erzählung verlangt von den Leserinnen und Lesern allerdings einiges ab. Sie müssen in der Lage sein, die Essenz aus der Geschichte zu ziehen und die feinen Töne zwischen den Zeilen zu erkennen. Nur so kann "Wetterwechsel" seine ganze Wirkung entfalten. Denn Marthe Kunstmann hat durchaus etwas zu sagen. Sie zeigt auf, wie sich die Perspektivlosigkeit der jungen Leute auf die einzelnen Personen auswirkt und welche Mechanismen sich breit machen.
Bis zum Schluss des Romans wird nicht ganz klar, ob nun Romy die tragende Figur darstellt, oder ob die Autorin bewusst auf eine hierarchische Zuordnung der Charaktere verzichtet hat. Es mag damit zusammenhängen, dass Romy keine Sympathie-Trägerin ist: mit ihr als Hauptfigur warm zu werden fällt alles andere als leicht. Sie ist sperrig und kantig, ohne dadurch interessant zu werden. Hält man sich vor Augen, dass es sich um ein Mädchen an der Schwelle zum Erwachsensein handelt, mag man diese Charakterisierung verstehen, zumindest aber verzeihen. Was nicht heißen soll, dass man Romy deswegen besser mögen würde. Ebenso schwer fällt es, eine innere Beziehung zur etwas versponnenen Anja aufzubauen. Sie wirkt stellenweise wie eine zu spät geborene Hippie-Frau, die sich einen Langzeit-Drogentrip leistet.
Leider verspricht der Klappentext eindeutig mehr Spannung, als letztlich geboten wird. Die Leser müssen sich in Geduld üben und die Geschichte erarbeiten. Bleiben sie bei der Stange, werden sie mit einem mehr oder weniger überzeugenden Ausklang belohnt. Allerdings besteht die große Gefahr, dass gerade jugendliche Leser vorher aussteigen, weil sie den Zugang zur Geschichte durch einige erzählerische Hürden verbaut sehen. Die durchaus feinfühlige Erzählung, die sich bei näherer Betrachtung aus dem Ganzen heraus schält und sich als eigentliches Kernstück des Romans erweist, bleibt jenen verborgen, die nicht bereit sind, sich mit jeder einzelnen Situation von Neuem auseinander zu setzen.
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