Was darf Liebe?
Jennifer Brown hat ihren Roman Bitter Love für junge Menschen im Alter von 14 bis 17 Jahren geschrieben. Das Buch nun aber in die Sparte "Jugendroman" einzureihen, wäre zu einfach. Denn die Autorin hat die Geschichte von Alex und ihrer ersten großen Liebe, Cole, so stark aufgebaut und auf ein solch breites Fundament gestützt, dass der Roman auch als Leitplanke für Eltern stehen kann. Das Thema des Romans ist so vielschichtig, wie es Gewalt an sich schon ist. Der Weg von der ersten Begegnung bis zur Eskalation wird Schritt für Schritt aufgezeigt, ist nachvollziehbar, mitfühlbar.
Alex ist auf der Suche nach sich selber, als sie Cole begegnet. Das Mädchen vermisst seine Mutter, die vor etlichen Jahren bei einem selbstverschuldeten Unfall starb – sie war auf dem Weg, ihre Familie zu verlassen. Der Vater ist über den Verlust seiner Frau nie hinweg gekommen, bleibt in einem dumpfen Gefühl von Schmerz und Verzweiflung stecken. Die drei Töchter – Alex ist die Mittlere von ihnen – gehen ganz unterschiedlich mit der permanenten psychischen Abwesenheit des Vaters um. Aber nur Alex träumt davon, nach Colorado zu fahren, wo sie ergründen möchte, was ihre Mutter einst dazu bewog, ihre Kinder und ihren Mann zurückzulassen.
Seit Jahren planen Alex und ihre besten Freunde Bethany und Zack, nach der Schule gemeinsam nach Colorado zu fahren. Die Pläne geraten ins Stocken, als Cole auf der Bildfläche auftaucht. Er macht Alex subtil den Hof, und stellt sich so geschickt in Position, dass er das verunsicherte Mädchen nach und nach von ihren besten Freunden abdrängt. Die beiden reagieren zunächst verstört, dann zunehmend gereizt. Besonders Zack realisiert, dass mit Cole etwas nicht stimmt. Seine Warnung schlägt Alex aber in den Wind – Cole hat ihr geschickt eingeredet, dass Zack von Eifersucht getrieben ist. Je strikter Cole Alex aus ihrem Beziehungsfeld heraus löst, desto aggressiver wird er. Ohne Halt bei ihren Freunden und ihrer Familie ist ihm Alex ausgeliefert. Was sie für Liebe gehalten hat, wird zum Albtraum.
Jeder einzelne Schritt in der Geschichte ist für die Leser problemlos nachvollziehbar. Jennifer Brown versteht es meisterhaft, mit den Perspektiven zu spielen und den Lesern auf diese Weise einen ständigen Wechsel zu bieten zwischen Gesamtübersicht und der unmittelbaren Nähe zum Geschehen. So erkennen die Leser mit der Zeit, wie tief sich Alex in die Situation verstrickt und mit welchen Manipulationen Cole dafür sorgt, dass sie immer stärker von ihm abhängig wird. Dank der feinfühligen und überzeugenden Erzählweise von Jennifer Brown fühlen sich die Leser direkt angesprochen, so als ob sie ebenfalls mit Alex befreundet wären und erkennen müssten, dass das Mädchen einem bösen Spiel ausgeliefert ist. Die Autorin vermittelt auch nie den Eindruck, Alex hätte sich mühelos aus der Situation lösen können – vielmehr zeigt sie ohne zu werten auf, weshalb sich das Mädchen so tief in der Situation verstrickt, dass sie sich aus eigener Kraft nicht mehr gegen Coles Übergriffe wehren kann.
Eltern dürfte dieser Roman einen Hinweis darauf geben, genauer hinzusehen, wenn sich ihre Kinder von Freunden zurückziehen und sich ausschließlich auf eine einzige Person konzentrieren. Jennifer Brown zeigt auch auf, wo die Weichen dafür gestellt wurden, dass Alex zu einem idealen Opfer werden konnte. Dabei werden aber keine Schuldzuweisungen gemacht, vielmehr eröffnet Jennifer Brown Möglichkeiten, frühzeitig eine falsche Entwicklung zu stoppen. Im Anhang zum Buch gibt Jennifer Brown zudem wichtige Hinweise, wo Betroffene von Gewalt – auch Eltern von betroffenen Kindern – Hilfe finden. Und sie macht Mut, sich gegen Gewalt zu stellen und diese nicht hinzunehmen.
FAZIT
Bitter Love ist ein überaus starkes Buch, das alles enthält, was man von einem Jugendroman erwarten darf, der sich mit einem solch brisanten Thema auseinander setzt. Die Autorin erweist sich als ausgezeichnete Beobachterin und überzeugende Erzählerin. Ihr unkomplizierter Stil vermag Jugendliche ab etwa 14 Jahren anzusprechen und bleibt auch für ältere Jugendliche sowie Erwachsene spannend.
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