Atme nicht

  • Beltz & Gelberg, 2012, Titel: 'Try Not to Breathe', Originalausgabe
Atme nicht
Atme nicht
Wertung wird geladen
Rita Dell'Agnese
9101

Jugendbuch-Couch Rezension vonAug 2013

Die Frage nach dem Warum

Was geht in einem Menschen vor, der seinem Leben ein Ende setzen möchte? Nicki versucht verzweifelt nach der Antwort, seit ihr Vater Selbstmord begangen hat. Sie quält sich mit der Frage nach der Schuld und versucht, hinter das dunkle Geheimnis zu kommen. Dabei helfen soll ihr Ryan, der nach einem Suizidversuch in der psychiatrischen Klinik gelandet ist und nun, nach der Entlassung, versucht, sein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Obwohl er sich zunächst gegen Nickis Eindringen in sein Leben zu schützen versucht, schafft es die 15-Jährige, zu ihm durchzudringen und seinen Panzer aufzubrechen. Doch dann erkennt Ryan, dass Nicki ihm nicht die Wahrheit gesagt hat. Für ihn bricht erneut eine Welt zusammen und er kämpft um Fassung.

Subtil geht Jennifer R. Hubbard mit dem Thema Suizid um. Die Autorin beschreibt sehr eindrücklich, wie sich Ryan gefühlt hat, bis er seiner Sehnsucht nach einem immerwährenden Schlaf nachzugeben versuchte. Sie macht deutlich, welche Mechanismen gespielt haben, welche Verletzungen passiert sind, bis der Junge am Leben zweifelte und letztlich verzweifelte. Sie stellt aber auch den Weg Ryans zurück in die scheinbare Normalität gut nachvollziehbar dar. Während sich Ryan in der Klinik verschiedene Verhaltensweisen antrainiert hat, die ihm helfen sollen, mit schwierigen Momenten umzugehen, versucht sein Umfeld auf eine eigene Art, mit der Situation umzugehen. Ryans Eltern packen ihren Sohn in Watte. Besonders die Mutter lebt in der ständigen Angst, Ryan könne einen weiteren Versuch unternehmen, seinem Leben ein Ende zu setzen. Je stärker sie Ryan unter Druck setzt, desto mehr versucht der Junge aus dieser Situation zu entkommen. Zum ersten Mal macht er sich Gedanken über das zwanghafte Verhalten seiner Mutter, das durch seine Depression zwar verstärkt aber nicht ausgelöst worden war.

Durch die verschiedenen Facetten, die sie in ihrem Roman aufgreift, gibt Jennifer R. Hubbard gute Anhaltspunkte, wie stark ein solches Ereignis in das Leben der Menschen eingreift. Zum einen stellt sie die Situation von Ryan dar, der selber seinem Leben ein Ende setzen wollte und nun mit den Folgen konfrontiert ist. Zum anderen sind es die Angehörigen, die jemanden verloren haben. Dabei steht Nicki im Zentrum, aber auch ihre Brüder sind Betroffene. Und schließlich sind es die ratlosen Eltern Ryans, die mit ihrem Verhalten dazu beitragen, dass sich der Teenager nur mit Mühe einen "normalen" Alltag aufbauen kann. Die Autorin schafft es, sich in alle verschiedenen Personen hinein zu versetzen und ihre Sichtweise glaubwürdig darzustellen. Besonders die verzweifelte Suche von Nicki nach dem Warum ist gut gelungen. Hubbard dürfte hier bei ihren Recherchen direkt mit Angehörigen von Suizid-Opfern gesprochen haben: Die Zerrissenheit Nickis, was die möglichen Motive ihres Vaters betrifft, spiegelt auf eine fast beängstigende Art eine höchst reale Situation wieder.

Der Aufbau des Romans und die verschiedenen Szenen rufen allerdings auch immer mal wieder Irritationen hervor. Die Geschichte selber spielt innerhalb eines ausgesprochen kleinen zeitlichen Rahmens – doch irritiert das eher. Denn die Dimension der Geschichte sprengt diese zeitliche Begrenzung. Hier hätte die Autorin der Geschichte ruhig einen etwas weniger engen Rahmen geben können. Bedauerlich ist auch, dass der Verlag bei der Gestaltung des Covers unsorgfältig gearbeitet hat: So ist etwa der Name einer der Hauptfiguren falsch geschrieben.

FAZIT

Ein starkes und bewegendes Jugendbuch zum Thema Suizid. Die vom Verlag als untere Grenze angegebenen 13 Jahre (Zielgruppe sind 13 bis 16-jährige) ist allerdings mit Vorsicht zu genießen. Denn Jennifer R. Hubbard geht auf eine so offene Weise mit der Thematik um, dass jüngere Leser, die noch nie mit dem Thema Suizid konfrontiert worden sind, Probleme damit haben könnten. Hier braucht es unbedingt Erwachsene, die mit dem Jugendlichen über das Ganze sprechen.

Atme nicht

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Atme nicht«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

LGBT
in der Jugendliteratur

Alljährlich wird im Juni der Pride Month gefeiert, um die Vielfalt unserer Gesellschaft hervorzuheben. Weltweit erheben Schwule, Lesben, Transgender, Bisexuelle und Menschen anderer sexueller Orientierungen ihre Stimme für Toleranz und stärken so die Gemeinschaft. LGBTQ+ ist schon lange kein Randthema mehr in der Jugendliteratur, sondern ein zentraler Aspekt zahlreicher Neuerscheinungen.

mehr erfahren