Wie viel Kontrolle haben wir wirklich über unser Leben – mit 13 allein, unterwegs in ein ganz und gar fremdes Land?
Die Geschichte fängt so an, wie jedes gute Abenteuer: Benjamin ist 13 und soll zu seinem Vater nach Afrika fliegen, genauer nach Liberia. Allein. Seine Mutter begleitet ihn nicht, denn seine Eltern haben sich gestritten und so hat Benjamin statt seiner Mutter einen Abschiedsbrief an seinen Vater dabei. Doch schon im Flugzeug beginnen die Dinge, merkwürdig zu werden und nicht mehr nach Plan zu verlaufen.
Seine Sitznachbarin sei die Frau des Botschafters, der jedoch leider verstorben ist, so sagt sie. Als wäre das nicht schon komisch genug vergisst Benjamin auch noch seine Zahnbürste auf der Bordtoilette und sein Handgepäck, das neben besagtem Abschiedsbrief auch seinen Pass, Geld, seinen Hut, Anti-Insekten-Spray und andere wichtige Dinge enthält, ist auch nicht mehr auffindbar. So kommt es dazu, dass er seine ersten Schritte auf dem ihm unbekannten Kontinent ohne Identität, dafür aber mit dem Mantel der Botschafterin macht. Die hatte ihn einfach vergessen und war schnell ausgestiegen, sodass Benjamin ihn nicht zurückgeben konnte. Doch die Ereignisse überschlagen sich und so beginnt eine Reise, auf der er Milchmännern und Taxifahrern, blinden Jungen und langsamen Alten, Ärzten ohne Grenzen und Prinzessinnen in goldenen Käfigen begegnet; es ist eine Reise, auf der er große Teile der Kontrolle über sein Leben abgeben muss.
Rainer Merkels mittlerweile sechstes Werk ist sein erstes Jugendbuch, doch zeigt er sich sehr geeignet, für diese Zielgruppe zu schreiben. Seine Sprache ist lebendig, einfühlsam und er erzählt zügig und ohne lange Personen- oder Ortsbeschreibungen, sondern sehr passend über die Empfindungen und Gefühle seiner Protagonisten, derer es neben Benjamin noch zwei weitere gibt:
Zunächst wäre da Brillance Hope Gwenigdale-Johnson, die normalerweise in Kalifornien lebt, zur Zeit aber zu Besuch bei ihrem Onkel in Liberia ist. Dieser Onkel ist Chef der TOTAL-Tankstellen und daher sehr reich, jedoch auch sehr beschäftigt und so langweilt sich Hope und fühlt sich eingeengt im Luxus, sie sucht dadurch Abwechslung, dass sie Edward allerlei Dinge für sich erledigen lässt, für die sie ihn mit amerikanischen Dollars fürstlich entlohnt. Die Verbindung zu Benjamin liegt darin, dass sie im gleichen Flugzeug saßen und Benjamin es Hopes Onkel gewissermaßen verdankt, überhaupt nach Liberia einreisen zu können.
Ebenso verdankt Benjamin es Max, dem Taxifahrer, dass er nicht von Dieben überwältigt wird, die es erst auf das Geld von Hopes Onkel und später auf das Geld aus dem Mantel von der Botschafterin (den Benjamin hat) abgesehen haben. Durch Max lernt Benjamin Bo kennen, nach dem das Buch benannt ist, und der mehr sieht als viele andere, obwohl er blind ist. Seit der Nacht, die Benjamin bei Bo und seiner Familie verbringt, scheint sich das Leben der beiden ständig zu kreuzen.
Durch den Sprung zwischen diesen drei Personen und auch die häufigen Rückblenden schafft der Autor es, die Geschichte zügig und sehr spannend zu erzählen, lässt den Leser jedoch häufig für kurze Zeit im Dunkeln ob der Zusammenhänge. So dürfte es auch den Protagonisten gehen, die der allgemeinen Zufälligkeit einer für sie fremden (Benjamin, Hope) oder durcheinander gebrachten Welt (Bo, für den Benjamin ein Außerirdischer aus Schwedianien ist) ausgeliefert sind und aus ständig wechselnden Umständen das beste machen müssen.
Nach sehr kurzer Eingewöhnung in diese ständigen Wechsel entwickelt sich ein sehr dynamischer Roman, der an einigen Stellen fantastisch anmutet und an anderen wieder schonungslos das Leben beschreibt.
Fazit
Bo hat mir gut gefallen und ist meine Empfehlung für alle ab 14 Jahren, die Spaß an etwas längeren und komplexeren Romanen haben und gerne mitkommen auf eine Reise - in eine für uns sehr fremde Welt, die tatsächlich aber nur gut 5.000 km entfernt ist. Das Buch ist spannend, toll geschrieben und erzählt eine gute Geschichte, die jeden in Abenteuerstimmung versetzen dürfte. Gleich nach der Lektüre habe ich geschaut, was so ein Ticket nach Liberia denn kostet... Aber natürlich nicht gebucht! Das überlasse ich den wahren Abenteurern, deren Berichte ich dann sehr gerne lese. Und Rainer Merkels Roman Bo ist genau so ein Bericht, wie ich ihn mir erträumen würde.
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