Rot wie das Meer
Für Wally ist klar: Sie würde alles tun, um ihre leibliche Mutter ausfindig zu machen. Vor über elf Jahren wurde das Mädchen aus einem russischen Waisenhaus von amerikanischen Eltern adoptiert und in die USA gebracht. Doch aus dem einst verstörten Kind ist längst ein selbstbewusster Teenager geworden, der seinem Elternhaus den Rücken gekehrt hat und auf der Straße lebt. Da wird ein totes Mädchen aufgefunden, das Wallys Ausweis bei sich trägt. Für Wally ist der Verlust ihrer Papiere ein Debakel und sie versucht, sich auf illegalem Weg Ersatz zu beschaffen. Doch statt der Papiere findet sie einen Umschlag mit Hinweisen auf ihre leibliche Mutter. Wally erfährt, dass Yalena ebenfalls in New York leben soll. So macht sie sich auf die Suche nach ihr, um von ihr die Antworten auf die Fragen zu erhalten, die sie seit ihrer frühesten Kindheit umtreiben. Begleitet wird Wally dabei von den anderen Jugendlichen, mit denen sie sich in einer Art Gang zusammen gefunden hat und die in Wally ihre Anführerin sehen. Obwohl sich sowohl Wally als auch ihr engster Freund Tevin als findige und furchtlose Protagonisten erweisen, schrammen sie immer mal wieder an einer lebensbedrohenden Situation vorbei. Denn nicht nur Wally sucht nach Yalena. Da ist auch dieser geheimnisvolle und furchteinflößende Russe, der dieselben, ungewöhnlichen Augen hat wie Wally.
Der Begriff Thriller trifft auf diesen Jugendroman vollumfänglich zu. Autor William Richter erweist sich als geschickter Erzähler und vermag es, durch einige berufliche Kniffe – immerhin ist er ansonsten Drehbuchautor – Kopfkino in Gang zu bringen und lebendige Bilder zu schaffen. Der Aufbau des Thrillers hinkt zwar manchmal etwas – besonders die verschiedenen Zufälle, die dazu führen, dass Wally mehr über ihre Mutter Yalena erfährt, sind gewöhnungsbedürftig – doch ergibt das Ganze ein rundes und durchaus überzeugendes Bild. Dabei setzt William Richter hauptsächlich auf Spannungselemente, die dem Thriller den nötigen Boden verleihen. Hier wird sichtbar, dass der Autor ein junges erwachsenes Publikum im Auge hat. Denn er schont die Leserinnen und Leser nicht, geht schnell und brutal zur Sache, lässt Blut fließen, Ängste aufkommen und düstere Ecken sichtbar werden.
Obwohl sich die Leser wohl vereinzelt fragen mögen, wie es dazu kommen kann, dass eine Jugend-Gang sich auf diese Weise durchs Leben schlängelt, und weshalb Wallys Adoptiveltern die Lebensweise ihres Schützlings einfach so akzeptieren, vermögen die Leser dem Verlauf der Geschichte genügend Logik zu entnehmen, um einige Ungereimtheiten hinzunehmen. Das Tempo des Thrillers ist auch nicht dazu angetan, bei einzelnen Szenen zu lange zu verweilen und sich darüber vertieft Gedanken zu machen. Hier spielt die Spannung dem Autor schön in die Hände. Er holt die Leser ab, lässt sie hauptsächlich durch Wallys Augen an den Ereignissen teilhaben und füttert sie mit Zusatzinformationen, die ihnen einen kleinen Wissensvorsprung verleihen und sie zu Mitstreitern machen, die der Auflösung des Geheimnisses ebenso entgegen fiebern, wie die jungen Protagonisten selber.
So überzeugend der Autor die jugendlichen Protagonisten skizziert, so schwer tut er sich allerdings mit den Erwachsenen. Beim russischen Bösewicht greift er etwas gar tief in die Schublade des abgrundtiefen Verwerflichen und knüpft damit leider an ein uraltes Gut-Böse-Muster an, das die Russen als absolutes Feindbild geradezu zelebriert. Das hinterlässt einen etwas schalen Geschmack, der dem ansonsten außergewöhnlichen Thriller leider etwas von seiner Substanz nimmt.
FAZIT
William Richter bietet einen knallharten Jugenthriller an, der auch ein erwachsenes Publikum zu fesseln vermag. Die ungewöhnliche Story bietet viel Tempo, spannende Charaktere und letztlich eine überraschende Auflösung. Hätte der Autor auf die klischeehafte Zuteilung von Gut und Böse verzichtet, wäre hier weit über dem Durchschnitt liegender Thriller vorgelegen.
Voll von Trauer, Entscheidungen und Zuneigung
Die Insel Thisby hat eine Besonderheit: Jedes Jahr steigen die heimtückischen Wasserpferde an ihren Strand empor und ziehen die Menschen in ihren Bann. Doch Wasserpferde gieren nach Blut – und nach dem Meer. Die einheimischen Männer folgen trotzdem der alten Tradition, die Wasserpferde beim Rennen am ersten November am Strand zu reiten, auch wenn die furchtbaren Pferde jedes Jahr ihren Blutzoll einfordern.
Auch der junge Sean Kendrick, der für den Pferdezüchter der Insel arbeitet, nimmt jedes Jahr an dem Rennen teil. Was ihn beschützt, ist vor allem sein großes Wissen um die Mythen der Wasserpferde. Er ist der klare Favorit des Rennens.
Doch in diesem Jahr meldet sich auch eine Außenseiterin an. Die junge Puck ist nicht nur das erste Mädchen, dass das Rennen mitreiten will – sie tut es auch noch auf ihrem Inselpony Dove, nicht auf einem der unglaublich schnellen und gefährlichen Wasserpferde.
Maggie Stiefvater hat sich mich ihrer Trilogie "Die Wölfe von Mercy Falls" einen Namen gemacht. Die Idee zu diesem Buch trug sie schon seit dem College mit sich herum; erst jetzt hat sie die richtigen Worte gefunden, um die Geschichte zu erzählen. Ein Glück hat sie sich dafür Zeit gelassen, denn Rot wie das Meer besticht mit einer wunderschönen Erzählung, die jeden Leser sofort in den Bann der gefährlichen und mythischen Wasserpferde lockt.
Stiefvater hat die Legende um die Wasserpferde liebevoll aufgearbeitet. Das Schöne an dem Stoff ist, dass er noch nicht zu abgenutzt ist wie Vampire, Werwölfe oder andere Sagengestalten. Das gibt dem Buch die Freiheit, eine ganz eigene Version zu erschaffen, was meisterhaft gelingt. Die mythischen Elemente – die Traditionen der Inselbewohner, die kleinen Zaubermittel, um die blutrünstigen Pferde unter Kontrolle zu halten – all das erzählt das Buch glaubwürdig und ohne viel Tamtam. Das gibt der Geschichte ein viel größere Tiefe, bettet es in alte, Jahrhunderte alte Sagen ein.
Doch das Buch ist nicht nur etwas für Pferdeliebhaber (wenn auch für die ganz besonders). Rot wie das Meer ist eine dicht erzählte Geschichte ohne große Schnörkel. Die Geschichte kommt fast so trocken daher wie die eigenbrötlerischen Inselbewohner, ein Stil, den Maggie Stiefvater schon in früheren Werken prägte. Die jungen Hauptcharaktere Sean und Puck sind dabei ganz anders als all die anderen Teenager-Helden auf Papier. Ihnen geht es nicht darum, die große Liebe zu finden, ihre Entscheidungen sind größer, tiefer. Das Waisenmädchen Puck versucht irgendwie über die Runden zu kommen mit ihren zwei Brüdern. Sean ist zwar der beste Pferdetrainer im Gestüt, doch was er wirklich haben will, das bekommt er nicht. Für beide ist ein Gewinn bei dem Rennen der letzte Ausweg. Doch bis dahin ist es ein weiter weg. Und die Wasserpferde werden nicht in die Wellen zurückkehren, ohne das Leben einiger mit sich zu reißen.
Fazit
Die dicht gewebte Erzählung, die sich in der Ausweglosigkeit der Insel entfaltet, lässt einen nicht mehr los. Die Charaktere sind unglaublich liebevoll und genau erzählt, die Handlung packend. Die Sage um die Wasserpferde findet hier ihre bis jetzt schönste Geschichte. Voll von Trauer, Entscheidungen und Zuneigung.
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