Und auch so bitterkalt
Als Liams Freundin Anna nicht wie verabredet zum Abendessen kommt, ist er zuerst ungehalten, macht sich aber kurz darauf Sorgen. Mit Annas Freundin Marie geht er systematisch vor. Sie fragen Krankenhäuser ab, durchsuchen Annas Wohnung nach Hinweisen und versuchen, zwei Polizisten beim Landeskriminalamt davon zu überzeugen, dass Anna etwas geschehen sein muss. Die Beamten gehen scheinbar von nur zwei Möglichkeiten aus: Anna hat sich von Liam getrennt, oder Liam ist für ihr Verschwinden verantwortlich. Doch Anna wurde von ihrem Ex-Freund Natan entführt. Liam stößt auf acht Kohlezeichnungen von Annas Ex-Freunden, die er zum Ausgangspunkt seiner Detektivarbeit macht.
Personal und Handlung
Stumme Angst ist ein Vierpersonenstück. Das Entführungsopfer Anna Hansen ist eine Medizinstudentin und Waise. Ihre Eltern starben bei einem Autounfall. Sie fertigt von ihren Freunden Kohlezeichnungen an, die wichtig für die Suchbemühungen nach ihr sind. Annas Ex-Freund Natan Mayer ist ihr Stalker und Entführer, was die Leser und Leserinnen schon sehr früh erfahren. Er arbeitet als Fotograf und ist Waise, auch seine Eltern kamen bei einem Autounfall ums Leben. Er wohnt in seinem Elternhaus und hält Anna im ererbten Haus der Großmutter Ida gefangen, was ebenfalls schon früh bekannt wird. Liam Lorenz, seit vier Monaten Annas Freund, arbeitet in einem Sender, hat zuletzt eine Dokumentation über den Klimawandel gemacht und arbeitet gerade an einer Geschichte über die letzten Elefanten Sumatras. Marie Willenberg, Annas Freundin, unterstützt Liam bei der Suche, hält jedoch aus Eifersucht - sie wäre gerne die Freundin Liams - wichtige Informationen zurück.
Die Handlung erstreckt sich über einen zusammenhängenden Zeitraum von neun Tagen, von der Entführung bis zur Befreiung Annas, gefolgt von einem Epilog. Es gibt drei Erzählstimmen, Ich-Erzählerin Anna, jemanden, der oder die in der dritten Person die Sicht und die Ereignisse um Liam und Marie wiedergibt, schließlich Großmutter Ida als Tagebuchstimme aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Stimmen unterscheiden sich nur darin, dass die Gegenwartshandlung in der Gegenwart erzählt wird, der Tagebuchinhalt in der Vergangenheit.
Ein einfach konstruierter Thriller
Christina Stein erzählt ihren Thriller in einfacher Sprache und kurzen Sätzen und Kapiteln. Sie zieht die Leser sofort in die Geschehnisse, ohne zuvor Personal und Handlungsorte zu etablieren.
Natan ist ein typisches Beispiel für den zurückgewiesenen Stalker. Er hatte eine Beziehung zu Anna und beginnt sie zu verfolgen, nachdem diese Beziehung zerbrochen ist. Er will sich nicht an Anna rächen, sondern die Wiederaufnahme der Beziehung erzwingen. Er versucht das Umfeld seines Opfers, das er angeblich liebt, zu kontrollieren und kreist dabei ausschließlich um sich. Ihm ist gleichgültig, was Anna will, wenn es nicht mit seinem Willen übereinstimmt. Annas Versuche, Natan zur Einsicht zu bringen, erweisen sich als sinnlos. Natan will Macht und Kontrolle in der erzwungenen Fortsetzung der Beziehung. Deshalb hat er für Anna Regeln aufgestellt, an die sie sich halten muss: sie darf nicht zu lange im Bad bleiben, darf ihn psychologisch nicht unter Druck setzen, muss immer, wenn sie etwas von Natan will, ihm zuvor sagen, wer der Chef ist.
Durch die Tagebucherzählerin bekommt die Handlung eine zweite Ebene. Aus dem Tagebuch wird deutlich, dass es ein Geheimnis in der Vergangenheit gibt. Die Spurensuche im Leben der Großmutter führt auf grausige Weise in die Gegenwart und den Hausgarten, es wird aber nicht viel daraus gemacht. Ein zweites Geheimnis, nicht so weit zurückliegend, verbindet Anna und Natan auf tragische Weise.
Die Ermittlungsarbeit der Laiendetektive bestimmt den Großteil des Romans. Die Polizisten sind leider nur Klischee. Man entwickelt wenig Nähe zu den Figuren, damit auch kaum Sympathien. Am Ende überschlagen sich die Ereignisse und es kommt zu einem furiosen Finale.
Fazit
Christina Steins Jugendroman Stumme Angst ist ein Kammerspiel über eine Entführung, deren Zusammenhänge früh bekannt und gut nachvollziehbar sind.
Ein Buch, dass sich Beschreibungen und Wertungen entzieht
Lucinda ist besonders, sie scheint nicht wirklich in dieser Welt zu leben und immer über den Dingen zu stehen, darüber hinaus zu sehen. Das macht sie für ihre kleine Schwester Malina zu etwas ganz besonderem. Und so erzählt Malina Lucindas Geschichte, die von Missverständnissen, zufälligen Episoden und stets von einer ganz besonderen Traurigkeit getragen wird, sehr leicht und doch unendlich schwer.
Malina erzählt die Geschichte ihrer älteren Schwester Lucinda. Lucinda ist anders als andere Mädchen ihrer Schule und ihres Alters und überhaupt sehr speziell. Lucinda zieht Menschen in ihren Bann und auch Malina ist hingerissen von ihrer Schwester und sehr treu. Gemeinsam sind die Beidem im ständigen Kampf gegen ihre Eltern, Isa und Frieder; genau so wie viele Teenager kämpfen sie für mehr Freiheiten und schleichen sich nachts heimlich raus um den Himmel zu beobachten. Dabei erzählt Lucinda Geschichten von Tenebrien, einer anderen Welt, die wir nach dem Tod oder auch nie erreichen.
Eines Tages begegnet Lucinda Jarvis, ihrem neuen Nachbarn. Zwischen den beiden entwickelt sich eine besondere Beziehung, er ist zum Beispiel der erste Junge, der wiederkommt, nachdem Lucinda mit ihm im Keller war. Ganz plötzlich ändert sich das Leben von Lucinda, Malina, ihren Eltern und Jarvis ganz gewaltig und sie werden von einem Schock erschüttert, dessen Wirkungen sie nicht mehr rückgängig machen können.
Das alles erzählt Malina in sehr kurzen Passagen, anfangs scheint es, als wären es nur zufällige Situationen aus ihrem Leben, einzelne Puzzlestücke, die sich im Laufe der Geschichte mehr und mehr zu einem Gesamtbild fügen. Und doch hat der Leser das Gefühl, dass sich dieses Gesamtbild ihm entzieht und von ihm nicht so genau erfasst werden möchte. Lucinda ist und bleibt nicht nur dem Leser, sondern auch ihren Eltern absolut rätselhaft. Bis zum Schluss.
Und so hat der Roman mich ratlos zurückgelassen, ohne wirkliches Ende, ohne eine Lehre, aber doch mit einer großen Frage, und zwar der nach dem Warum? Eine Antwort werde ich darauf aber sicherlich nicht finden und so stellt sich die Frage nach der Intention des Buches umso mehr: Möchte Lara Schützsack auf ein Problem aufmerksam machen, möchte sie eine Krankheit mystifizieren oder einfach nur eine Geschichte erzählen, die im besten Sinne keinen Sinn hat?
Ebenso wie sich die Innenwelt der Hauptperson Lucinda jeglichem Zugang ihrer Eltern und sogar ihrer treu verbundenen Schwester entzieht, so entzieht sich dieses Buch auch gewöhnlichen Bewertungskriterien. Ich war fasziniert, an manchen Stellen gefesselt und stellte mir an anderen die Frage, wieso noch weiterlesen?
Fazit
Und auch so bitterkalt ist eine Reise, auf die man sich einlassen muss und von der man nicht erwarten sollte, ein Ziel zu erreichen. Stattdessen kann man als Leser nur dabei sein und fasziniert beobachten und vielleicht versuchen, am Ende ein paar neue Ideen zu bekommen. Oder auch nicht. So ist das eben.
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