Elender Krieg 1914-1919
- Erschienen: Januar 2014
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Jaromir Konecny ist bisher vor allem als Poetry-Slammer in Erscheinung getreten. Poetry Slam, das freie Vortragen von selbst geschriebenen Texten jeder Art, ist vor allem darauf angelegt, den Zuschauer unmittelbar und mit wenig Worten in kurzer Zeit zu berühren und/oder zu amüsieren.
Mit Tote Tulpen hat Konecny nun seinen ersten Krimi vorgelegt, der die Herkunft des Autors jedoch nicht verheimlichen kann, das aber im allerbesten Sinne. Die Personen sind einerseits komplett absurd, andererseits aber wieder direkt aus dem Leben gegriffen.
Leon ist 16 und eigentlich viel cleverer als er zugeben möchte. Die Rolle des Trottels hat er nicht nur im Kinderheim, sondern vor allem auch im Jugenknast gelernt, wo er ein Jahr einsaß und sich dabei vor allem um Salami, seinen kleinen und nicht so durchsetzungsstarken Freund kümmerte. "Wer sich seiner Glorie bewusst ist, ehrt sich, indem er in Schande lebt" heißt sein Motto. Doch Laura, die Tochter seines neuen Chefs - und Ermittlerin ersten Grades in ihrem neuen Mordfall -stellt diese Einstellung häufig auf die Probe. Denn obwohl er es sich nicht eingestehen möchte, hat sich Leon sehr schnell in Laura verguckt. Und die fährt nur so halb auf seine Masche ab, also muss er sich eine neue Rolle zulegen. Dass er aber am Ende einfach nur er selbst sein muss, bei dieser langsam reifenden Erkenntnis kann der Leser ihm beinahe zusehen.
Ein Krimi, der keiner sein will aber doch einer ist
Aus der Ich-Perspektive von Leon geschrieben, wartet der Krimi mit einigen sehr lustigen Stellen auf und ist in einer unglaublich authentischen und lockeren Sprache geschrieben, die den Zynismus von Leon sehr subtil transportiert. Die vollkommen absurde Welt, in die man als Leser herein gezogen wird, tut ihr übriges, und so hat man als Leser ein sehr kurzweiliges Leseerlebnis.
Auch wenn die Story an sich keine Neuerfindung des Genres des Krimis ist (und auch bestimmt nicht sein möchte) ist sie ganz groß darin, wie sie die typischen Genre-Klischees zu bedienen scheint und es dann doch nicht tut. Auch die für einen Krimi nötige Spannung baut sich langsam aber beständig auf, trotz den flapsigen Dialoge und der etwas voraussehbaren Liebesgeschichte zwischen Leon und Laura.
Authentische jugendliche Sprache
Die direkte Ansprache des Lesers an einigen Stellen sprengt den klassichen Rahmen des alltäglichen Krimis, einfach nur klasse. An einigen Stellen habe ich mich dabei erwischt, wie das gelesene in meinem Kopf von einem Slammer aufgesagt wurde und ich mir eine Lesung des ganzen Buchs vom Autor gewünscht habe. Aber nicht, weil der Krimi gelesen nicht toll ist, sondern weil er so sprachlich hervorragend ist. Die Jugendsprache, die Leon benutzt und die durch seinen Aufenthalt im Heim und im Knast geprägt ist, wirkt nie aufgesetzt oder unangemessen. Stattdessen hatte ich den Eindruck, dass hier wirklich ein 16jähriger zu mir spricht und mir seine Geschichte erzählt. Und ich wollte ihm sämtliche 240 Seiten lang zuhören und wünsche mir jetzt möglichst schnell eine Fortsetzung oder sonst ein anderes Buch von Konecny an die Hand. Stattdessen werde ich jetzt erst einmal sämtliche Slam-Auftritte schauen, die ich von ihm auf YouTube finde.
Fazit
Tote Tulpen ist nur auf den ersten Blick ein Jugendkrimi. Auf den zweiten ist es ein Kunstwerk, das die Grenzen des klassischen Krimis sprengt, dabei einen Einblick in den ganz normalen Wahnsinn von Jugendlichen bietet und ständig einen Gag bereithält. Ein Leseerlebnis der Extraklasse für alle ab 14!
... grandios
Der Zeichner Jaque Tardi war selbst nicht als Soldat im Ersten Weltkrieg bzw. im Grande Guerre, dem Großen Krieg, wie ihn die Franzosen nennen. Aber sein Großvater – den Tardi nur als das kennt, was der Krieg aus ihm gemacht hat: einen gebrochenen Mann. Und was der ihm erzählt hat, steckt in diesem Buch und noch viel mehr.
Dies ist also die Geschichte eines einfachen französischen Frontsoldaten, ein Unterschied zu den meisten anderen Büchern, die aus Deutschland, über deutsche Soldaten, aus deutscher Sicht erzählen (mehr siehe auf den Special hier auf der Jugendbuch-Couch und auch auf der Kinderbuch-Couch.). Diesen Unterschied merkt man kaum – es geht halt auf Berlin und nicht nach Paris. Aber es sind einfach nur Menschen, egal auf welcher Seite der Front. Warum man sich denn überhaupt gegenseitig totschießt? Tja. Das ist Krieg.
Das Buch ist ruhig gezeichnet mit wenigen großen Bildern auf jeder Seite und ohne "Puff, Päng, Bäng!" und anderen typischen Lautmalereien. Statt Sprechblasen erzählt unser Soldat als Stimme aus dem Off. Chronologisch von der Mobilmachung,dann Jahr für Jahr, bis in die ersten Wochen und Monate nach dem Krieg. Subjektiv, bitter und zynisch, aber durchaus mit Humor.
Zum Beispiel als er – angesichts eines abgeschossenen Fliegers, den er vor Tagen noch unerhört beneidet hatte, weil der so hoch über Kugeln und Giftgasschwaden schweben darf – lakonisch feststellt: "Was die Flieger anging, hatten wir unsere Meinung geändert."
Ob die Schotten, die so tapfer in den Tod zogen, "Unterhosen trugen oder ob sie ihr Glockenspiel unter den Röcken frei im Wind schaukeln ließen"?
Dass die Soldaten "für diese Morde, zu denen man uns hier völlig legal nötigte, (..) in Friedenszeiten alle einen Kopf kürzer gemacht" worden wären. Dass die Briten "Wert darauf legen, dass die Volksstämme ihres Kolonialreiches, die sie mit den unschätzbaren Segnungen der Zivilisation versehen hatten, sich nun ein bisschen an ihrem Krieg beteiligen, und sei es nur aus Anstand oder um ihren Wohltätern einen Gefallen zu tun", sie aber weder anständig ausbilden noch ausrüsten, sondern schlicht als Menschenmaterial verheizen. Auch die USA, die sonst oft als die Guten gelten, die Europa geholfen haben, den Krieg zu beenden, bekommen ihr moralisches Fett ab. Gott sowieso.
Mit diesem jungen Franzosen würde man doch gerne mal ein Bier trinken gehen und über Gott und die Welt reden und Witze machen! Auch wenn man sich angesichts des Themas etwas mies dabei vorkommen mag. Andererseits: merkt man daran nicht gerade, wie lächerlich irrsinnig dieser Krieg ist?
Und die Bilder? Die zeigen, wie es war und das besser als jedes andere Buch. Weil es unser Gehirn zu Worten wie Maschinengewehr oder Krankenwagen nicht einfach Maschinengewehre und Krankenwagen assoziieren lässt – so wie man sie heute kennt – sondern ihm jedes Mal zeigt, dass es von Pferden gezogene Riesengewehre waren und die Verletzten in Lieferwagen wie Gemüsekisten übereinander gestapelt wurden. Und Tardi hat Szenen gezeichnet, die passiert sind, aber nicht auf Filmen und Fotos festgehalten wurden. Die Technik war neu, die Zensur verhinderte alles, was nicht ins patriotische Propagandabild passte, und nicht alles kann eben fotografiert werden: zum Beispiel in Nahaufnahme zu zeigen, wie der Pilot aus der Kanzel seines brennenden Zeppelins springt. Und was auf Fotos nicht auszuhalten wäre, geht auf Zeichnungen so gerade: wie Männer von einem Geschoss in einen Brei aus Eingeweiden, Schlamm und Knochensplittern verwandelt werden, schreckliche Verletzungen, nicht nur Arm- und Beinstümpfe, sondern Gesichter ohne Nase, Mund, Augen.
Nach 93 immer brauner, grauer, blutiger, elender werdenden Seiten sitzt er wieder in seiner Stammkneipe, mit einer Hand weniger und das Leben geht irgendwie weiter.
In einem ausführlichen Anhang steht dann alles, was man über Zahlen, Daten, Fakten, Politik und sonst so weiß. Bitte nicht stöhnen, denn auch dieser wissenschaftlich-historisch-fachliche Kram ist beinahe unterhaltsam zu lesen, ganz ohne steife Schulbuch-Formulierungen. Dazu viele Fotos, Karten, Schaubilder und am Ende jedes Kriegsjahres eine Bilanz in Todesanzeigen-Optik. Dezember 1919 waren es: 10 Millionen Tote, 19 Millionen Verwundete, 10 Millionen Versehrte, 9 Millionen Waisen, 5 Millionen Witwen.
Fazit
Eine unglaublich gut gezeichnete und gut erzählte Graphic Novel, packend, informativ und mit galligem Humor, die Seite für Seite zeigt, wie erbärmlich Krieg ist. Der bescheiden als Anhang bezeichnete zweite Teil des Buches ist ein informatives und gut zu lesendes Sachbuch. Wer ein Referat für die Schule machen muss hat mit Elender Krieg das perfekte Buch gefunden.
Jean-Pierre Verney, Jacques Tardi,
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