Zwischen ewig und jetzt
Der Zeichner Jaque Tardi war selbst nicht als Soldat im Ersten Weltkrieg bzw. im Grande Guerre, dem Großen Krieg, wie ihn die Franzosen nennen. Aber sein Großvater – den Tardi nur als das kennt, was der Krieg aus ihm gemacht hat: einen gebrochenen Mann. Und was der ihm erzählt hat, steckt in diesem Buch und noch viel mehr.
Dies ist also die Geschichte eines einfachen französischen Frontsoldaten, ein Unterschied zu den meisten anderen Büchern, die aus Deutschland, über deutsche Soldaten, aus deutscher Sicht erzählen (mehr siehe auf den Special hier auf der Jugendbuch-Couch und auch auf der Kinderbuch-Couch.). Diesen Unterschied merkt man kaum – es geht halt auf Berlin und nicht nach Paris. Aber es sind einfach nur Menschen, egal auf welcher Seite der Front. Warum man sich denn überhaupt gegenseitig totschießt? Tja. Das ist Krieg.
Das Buch ist ruhig gezeichnet mit wenigen großen Bildern auf jeder Seite und ohne "Puff, Päng, Bäng!" und anderen typischen Lautmalereien. Statt Sprechblasen erzählt unser Soldat als Stimme aus dem Off. Chronologisch von der Mobilmachung,dann Jahr für Jahr, bis in die ersten Wochen und Monate nach dem Krieg. Subjektiv, bitter und zynisch, aber durchaus mit Humor.
Zum Beispiel als er – angesichts eines abgeschossenen Fliegers, den er vor Tagen noch unerhört beneidet hatte, weil der so hoch über Kugeln und Giftgasschwaden schweben darf – lakonisch feststellt: "Was die Flieger anging, hatten wir unsere Meinung geändert."
Ob die Schotten, die so tapfer in den Tod zogen, "Unterhosen trugen oder ob sie ihr Glockenspiel unter den Röcken frei im Wind schaukeln ließen"?
Dass die Soldaten "für diese Morde, zu denen man uns hier völlig legal nötigte, (..) in Friedenszeiten alle einen Kopf kürzer gemacht" worden wären. Dass die Briten "Wert darauf legen, dass die Volksstämme ihres Kolonialreiches, die sie mit den unschätzbaren Segnungen der Zivilisation versehen hatten, sich nun ein bisschen an ihrem Krieg beteiligen, und sei es nur aus Anstand oder um ihren Wohltätern einen Gefallen zu tun", sie aber weder anständig ausbilden noch ausrüsten, sondern schlicht als Menschenmaterial verheizen. Auch die USA, die sonst oft als die Guten gelten, die Europa geholfen haben, den Krieg zu beenden, bekommen ihr moralisches Fett ab. Gott sowieso.
Mit diesem jungen Franzosen würde man doch gerne mal ein Bier trinken gehen und über Gott und die Welt reden und Witze machen! Auch wenn man sich angesichts des Themas etwas mies dabei vorkommen mag. Andererseits: merkt man daran nicht gerade, wie lächerlich irrsinnig dieser Krieg ist?
Und die Bilder? Die zeigen, wie es war und das besser als jedes andere Buch. Weil es unser Gehirn zu Worten wie Maschinengewehr oder Krankenwagen nicht einfach Maschinengewehre und Krankenwagen assoziieren lässt – so wie man sie heute kennt – sondern ihm jedes Mal zeigt, dass es von Pferden gezogene Riesengewehre waren und die Verletzten in Lieferwagen wie Gemüsekisten übereinander gestapelt wurden. Und Tardi hat Szenen gezeichnet, die passiert sind, aber nicht auf Filmen und Fotos festgehalten wurden. Die Technik war neu, die Zensur verhinderte alles, was nicht ins patriotische Propagandabild passte, und nicht alles kann eben fotografiert werden: zum Beispiel in Nahaufnahme zu zeigen, wie der Pilot aus der Kanzel seines brennenden Zeppelins springt. Und was auf Fotos nicht auszuhalten wäre, geht auf Zeichnungen so gerade: wie Männer von einem Geschoss in einen Brei aus Eingeweiden, Schlamm und Knochensplittern verwandelt werden, schreckliche Verletzungen, nicht nur Arm- und Beinstümpfe, sondern Gesichter ohne Nase, Mund, Augen.
Nach 93 immer brauner, grauer, blutiger, elender werdenden Seiten sitzt er wieder in seiner Stammkneipe, mit einer Hand weniger und das Leben geht irgendwie weiter.
In einem ausführlichen Anhang steht dann alles, was man über Zahlen, Daten, Fakten, Politik und sonst so weiß. Bitte nicht stöhnen, denn auch dieser wissenschaftlich-historisch-fachliche Kram ist beinahe unterhaltsam zu lesen, ganz ohne steife Schulbuch-Formulierungen. Dazu viele Fotos, Karten, Schaubilder und am Ende jedes Kriegsjahres eine Bilanz in Todesanzeigen-Optik. Dezember 1919 waren es: 10 Millionen Tote, 19 Millionen Verwundete, 10 Millionen Versehrte, 9 Millionen Waisen, 5 Millionen Witwen.
Fazit
Eine unglaublich gut gezeichnete und gut erzählte Graphic Novel, packend, informativ und mit galligem Humor, die Seite für Seite zeigt, wie erbärmlich Krieg ist. Der bescheiden als Anhang bezeichnete zweite Teil des Buches ist ein informatives und gut zu lesendes Sachbuch. Wer ein Referat für die Schule machen muss hat mit Elender Krieg das perfekte Buch gefunden.
Schön, romantisch & emotional
Julia muss nach dem Umzug mit ihrer Mutter die Schule wechseln. An ihrer neuen Schule verliebt sie sich auf den ersten Blick in Niki. Doch Niki ist ein Außenseiter. Und Julia entscheidet sich trotz ihrer Gefühle ganz strategisch für Felix und seine coole Clique. Felix ist ihr Freund; und seine Kumpels sind auch ihre. Doch sie fühlt sich nicht wohl in dem Freundeskreis: Die anderen haben alle reiche Familien, und Julia muss lügen, um mit ihnen mitzuhalten. Sie lebt mit ihrer Mutter in einer winzigen Wohnung, nachdem ihr Vater bei einem Unfall gestorben ist.
Als ihr Opa stirbt, kommt Julia wieder mit Nicki in Kontakt. Der hat nämlich eine Nachricht ihres toten Opas zu überbringen. Denn Niki kann mit Toten reden. Doch diese Gabe ist allgemein gefürchtet – auch wenn niemand ihm wirklich glaubt. Auch Julia fällt es schwer, damit umzugehen, mit diesem gruseligen Spezialtalent. Und vor allem steht sie immer mehr zwischen ihrem Freund Felix und dem etwas seltsamen Niki. Wie wird sie sich entscheiden?
Zwischen Ewigkeit und jetzt von Marie Lucas ist ein wunderschönes, einfühlsames und romantisches Jugendbuch. Es fällt in die Sparte der übernatürlichen Romanzen - und ist in diesem Genre herausragend gut. Das deutsche Buch verweigert sich dem amerikanischen Einheitsbrei und ist vor allem überraschend klischeefrei. Selbst mit der übernatürlichen Komponente verliert es nicht eine allgemeine Bodenständigkeit, die Handlung und Charaktere sehr glaubwürdig macht.
Das Liebesdreieck zwischen Felix, Nicki und Julia ist äußerst spannend zu lesen. Außenseiter Nicki hat natürlich von Anfang an die Herzen der Leserinnen auf seiner Seite. Doch auch Felix ist nicht durch und durch böse: Der Mädchenschwarm der Schule hat definitiv seine guten Seiten, und gibt "der Neuen" Julia in seiner Clique ein Zuhause. Deshalb ist Julias Zögern, für wen sie sich nun entscheiden soll, gut nachzuvollziehen. Dieses Beziehungsdreieck ist äußerst einfühlsam, aber gleichzeitig auch sehr realistisch geschildert.
Neben der schönen, lebensnah-tiefgründigen Liebesgeschichte ist natürlich Nickis Übernatürliche Begabung zentrales Element der Handlung. Nicki, Sohn eines Bestatters, hat inzwischen sein Talent akzeptieren gelernt und versucht, dem Toten ihre, wirklich allerletzten, Wünsche zu erfüllen. Wirklich erklärt wird der Ursprung seiner Gabe nicht, auch sonst bleibt der Roman sehr auf dem Teppich der Tatsachen. Deshalb wirkt seine Gabe immer ein bisschen außen vor, ist natürlich aber treibende Kraft in der Erzählung. Vielleicht gerade wegen dem sehr realistischen und detailreichen Erzählstil ist Nickis Talent aber schon bald eine Tatsache innerhalb der Romanwelt, die man gerne hinnimmt.
Fazit
Marie Lucas entwirft ein schönes, romantisches und emotionales Jugendbuch. Die Charaktere sind rund und ausgearbeitet und werden schnell zu guten Freunden. Obwohl Nickis Talent, mit Toten reden zu können, im Rahmen der sehr realistischen und weltnah beschriebenen Umgebung ein wenig wie ein Fremdkörper wirkt, ist es aber auf der anderen Seite ein integraler Bestandteil der teilweise actionreichen Handlung.
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