Ein Künstler wird Krieger
Die dicken blauen Pferde oder die gelbbraunen Kühe sind den meisten sicherlich schon mal auf einer Postkarte begegnet, in einem Wartezimmer, im Kunstunterricht – und wer sich für Malerei interessiert, der kennt sie sowieso. Berühmte Bilder, gemalt von Franz Marc, der zusammen mit anderen bekannten Namen – Kandinsky, Macke, Klee – zur Künstlergruppe "Blauer Reiter" gehörte. Solche Gruppen zu gründen war damals sehr modern.Damals – wann war das?
Franz Marc ist 1880 geboren, und der Autor dieses Buches lässt ihn uns als Jugendlichen kennenlernen, der Pfarrer werden will, in seinem Militärdienst sich dann ganz anders besinnt und Malerei studiert. Das Studium ist langweilig, müssen die Studenten doch in erster Linie naturalistisches Malen lernen – es gab noch nicht lange die Fotografie, und vorher war es Job der Maler, Bilder von der Wirklichkeit zu machen. Aber Franz und andere wollen mehr mit Farben machen, Formen, abstraktes und buntes, ihren eigenen Stil haben. Und nach dem Studium macht er das auch.
Marc findet einen Förderer und Gönner, er verdient Geld mit seinen Bildern.
Sein Privatleben ist eher lose, zumindest für damalige Verhältnisse: er ist mit der etwas durchgeknallten Dichterin Else Lasker-Schüler eng befreundet, mit einer Marie verheiratet, aus Nettigkeit, weil die nämlich ein Kind, aber keinen Mann hat, lebt aber mit einer Maria zusammen. Und mit Rehen, Katzen und dem Hund Russi.
Dann kommt der Sommer 1914, in dem die Stimmung in ganz Europa immer kriegerischer wird. Wichtige historische Begebenheiten sind in eigenen Kapiteln zwischen das Leben Marcs geschaltet, zum Beispiel das Attentat von Sarajevo, als der österreichische Thronprinz ermordet wird, was allgemein als Funke gilt, der das aufgeheizte Europa in Brand setzte oder auch als Vorwand für alle, sich gegenseitig endlich den Krieg zu erklären. Ohne Vorwissen kann man sich aber aus den Einzelteilen nicht unbedingt ein vollständiges Bild des Zeitgeschehens machen, Zeitleiste und Karten im Anhang helfen, wer es genau wissen will, braucht vielleicht noch ein Sachbuch.
Im Klappentext steht, Marc wurde eingezogen, das stimmt nicht ganz. Er hat sich freiwillig gemeldet, zwar nicht mit Hurra ins Abenteuer wie viele jüngere Deutsche (und Franzosen, Engländer, Russen). Eher mit der ruhigen Überzeugung, dass ein Krieg nötig sei, um all das Erstarrte und Bigotte des erzkonservativen deutschen Kaiserreiches zu überwinden; und danach werde Europa neu, friedlich, modern sein. Der Krieg als reinigendes Sommergewitter. Auch als ihm bald klar wird, dass es ein Gewitter aus Kugeln, Granaten und Giftgas ist, voller Lärm, Gestank, Dreck, Leichen und Ratten, und er Tag für Tag "nichts als das Entsetzlichste sieht, was sich Menschenhirne ausdenken können", sucht er immer noch nach einem Sinn, der über dem steht, was an der Front geschieht. Denn wenn es noch nicht mal einen Sinn gibt, wenn all das Schlachten einfach nur umsonst ist, dann kann man es gar nicht mehr aushalten.
Diese Dinge sind zum Teil direkt in Feldpostbriefen zitiert, zum Teil vom Autor nacherzählt. Oft in der gewählten Wortwahl künstlerisch veranlagter und wohlerzogener Menschen, die niemals kotzen, sondern sich übergeben oder maximal erbrechen. So bleibt alles ein bisschen auf Distanz – und man muss nicht befürchten, sich während des Lesens zu sehr ekeln und zu grausen.Schade ist es, dass viele Gemälde erwähnt werden, aber keines gezeigt. Und ganz sicher ist es interessant, mal zu googeln und sich Bilder von ihm anzuschauen.
Illustriert ist das Buch mit gemalten Szenen aus Marcs Leben: er als kleiner Junge, mit seiner Maria in trauter Zweisamkeit im Grünen oder auf Heimaturlaub; aber es gibt auch grau-braun-gedeckt-gestrichelt-verwischte Szenen aus dem Krieg. Auch dort ist er übrigens nicht immer Artillerist, sondern auch Maler und bemalt große Planen mit Tarnmustern.
Das letzte Bild zeigt Franz Marc, in Verdun, in den Armen seines Adjutdanten, von zahlreichen Granatsplittern getroffen.
Das war im Februar 1916. Der Krieg geht da noch zweieinhalb Jahre weiter, das monatelange Schießen um die französische Festung Verdun hat erst begonnen. Allein 700.000 Soldaten werden rund um dieses Städtchen den Tod finden.
Fazit
Biografie, Kunstband, historisches Buch über den Ersten Weltkrieg – dieses Buch ist nichts davon ganz, aber von allem ein bisschen und gerade diese Mischung macht es zu etwas Besonderem: zu einem hochinteressanten Schlaglicht auf einen besonderen Menschen, einen Maler, einen fürchterlichen Krieg.
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