Der Schatten meines Bruders
- Beltz & Gelberg
- Erschienen: Januar 2014
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- Beltz & Gelberg, 2013, Titel: 'My Brother´s Shadow', Originalausgabe
Die Flucht in eine eigene Welt
Kaia verliert mit dem Tod ihres Bruders den Halt. Sie kann nicht verstehen, was passiert ist. Und auch nicht, dass sich ihre Mutter sich vom Leben abwendet, zu trinken beginnt und ihren Job verliert. Auf sich alleine gestellt versucht Kaia, mit der Situation fertig zu werden. Ihr Bruder, der immer mal wieder als Engel auftaucht, gibt ihr ein ganz kleines Bisschen Halt dabei. Es reicht aber nicht, um Kaia in den Alltag vor dem tragischen Tod zurückkehren zu lassen. In der Schule wird das Mädchen inzwischen als Freak verspottet, die Kinder wenden sich von ihr ab und hänseln sie. Selbst ihre beste Freundin will nichts mehr von Kaia wissen. Da kommt dieser neue Junge in die Schule. Es ist ein wilder, ein ungezähmter Junge. Niemand weiß, woher er kommt und was mit ihm war. Kaia freundet sich mit ihm an, obwohl der Junge niemals ein Wort spricht. Durch ihn lernt sie, ihren Weg zu gehen und bekommt wieder Boden unter den Füssen. Da passiert etwas Tragisches und alle müssen sich Gedanken darüber machen, wie sie in Zukunft mit dem Leben umgehen wollen.
Ein tragisches Thema, das Autor Tom Avery hier anspricht. Denn er zeigt die grenzenlose Einsamkeit auf, in der Kaia nach dem Tod ihres Bruders gefangen ist. Anstatt sich in der Not ihrer Tochter zuzuwenden, verliert sich die Mutter in ihrem eigenen Kummer und entgleitet nicht nur der Realität, sondern auch dem verstörten Mädchen. Kaia versucht auf ihre eigene Weise, mit dem Freitod ihres Bruders fertig zu werden, wobei sie auch die Schuldgefühle, die in einer solchen Situation oft entstehen, nicht ausblenden kann. Die Frage, weshalb ihr Bruder gegangen ist, steht im Raum. Die Flucht Kaias in ihre Phantasiewelt, in der ihr Bruder als Engel erscheint, ist eine logische Folge des Nichtverstehens. Ebenso die Hingabe an den unbekannten Jungen, der wie ein Schemen durch die Geschichte huscht. Denn spätestens nach ein paar kurzen Kapiteln ist klar, dass der Junge nicht zwingend physisch sein muss. Bis zum Schluss werden die jungen Leserinnen und Leser nicht ganz sicher sein können, ob es den Jungen tatsächlich gibt oder ob sich Kaia in ihrer seelischen Not in eine imaginäre Welt verzogen hat.
Jugendliche mit den Themenkreisen Freitod, Alkoholismus und Ausgrenzung zu konfrontieren, ist ein guter Gedanke. Es sind Themen, die unvermittelt auf einen jungen Menschen zukommen können und die er alleine kaum bewältigen kann. Kaia als Identifikationsfigur ist verhältnismäßig gut gewählt, wobei sie für die angestrebte Zielgruppe von 12 bis 15-jährigen doch sehr kindlich scheint. Hier wäre eine leichte Korrektur nötig gewesen, um die Aufarbeitung der Thematik und die Protagonistin optimaler aufeinander abzustimmen. Denn die Art, in der die Themenkreise behandelt werden, ist klar auf die beabsichtigte Zielgruppe zugeschnitten. Die Diskrepanz zwischen der Persönlichkeit von Kaia und der Handlung ist denn auch das Störende am Roman, das die ansonsten feinfühlige Geschichte negativ belastet.
Obwohl der fremde Junge zunächst wie ein Rettungsanker für Kaia scheint, stellt sich schnell heraus, dass die Freundschaft zu ihm das Mädchen noch stärker ausgrenzt. Erst nach und nach kommt der junge Leser zum Schluss, dass die Figur des Jungens zu schwammig ist, um real sein zu können. Doch just in dem Moment, in dem man glaubt, definitiv eine Fiktion vor sich zu haben, handelt der Junge auf eine Weise, die wieder Zweifel aufkommen lassen. Es wäre ein Gewinn für das Buch, würde der Autor Tom Avery zumindest zum Schluss deutlicher machen, wie er die Figur des fremden Jungens gemeint hat.
FAZIT
Ein berührender Themenkreis, eine suboptimale Aufarbeitung: Tom Avery geht einen gefährlichen Weg und tut dies nicht in allen Belangen überzeugend. Wohl hat er eine gute Hand, welche Gefühlsregungen er bei welchen Personen einsetzen muss, um das Zusammenspiel aller Komponenten nach einem so tragischen Ereignis aufzuzeigen. Trotzdem schwankt er in seiner Geschichte etwas zu stark hin und her. So bleibt das Buch zwar berührend und bewegend, doch so ganz stimmig ist die Geschichte nicht.
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