Der Stab wird an die über-übernächste Generation weitergegeben
Es ist schon eine Crux, wenn man berühmte Vorfahren hat. Immer und überall wird man an den Ahnherren und Damen gemessen, hat eine Bürde zu tragen und kann sich kaum frei und eigenständig entwickeln. Dies gilt um so mehr, wenn zu seinen Vorfahren ein gewissen Dr. Watson gehört.
Gestatten, Ur-Ur-Urenkel Jamie Watson, aufgewachsen in Connecticut und London, mit geschiedenen Eltern gesegnet und jetzt von meiner allein erziehenden Mutter in ein Internat in Connecticut abgeschoben.
Dass eine gewissen Charlotte Holmes ebenfalls hier als Schülerin eingeschrieben ist, ja genau, die Holmes, die als kleines Mädchen schon den Diamantenraub aufgeklärt hat, wie einst ihr Ur-Ur-Urgroßvater höchstselbst, ist peinlich, mega peinlich.
Nun stellen sie sich aber erst einmal vor, dass ein Mitschüler von uns ermordet wird. Dass ich diesen ein paar Tage vorher vermöbelt habe, da er Charlotte unter Drogen gesetzt und vergewaltigt hatte, setzt uns - Schwupps - auf der Liste der Verdächtigen ganz nach oben. Und schon geht sie los, die deduktische Ermittlung a la Sherlock, doch irgendwie ist das, bei aller Dramatik und Aufregung auch cool, zumal mir Charlotte so langsam ans Herz wächst, auch wenn sie von ihrem Vorfahren viel zu viel Wesenszüge übernommen hat ...
Holmes und Watson reloaded
Wir kennen unseren Sherlock Holmes und seinen Gefährten Dr. Watson eigentlich in- und auswendig. Selbst über den jungen Sherlock gibt es genügend Lesematerial, allein ihre Nachkommen ins Zentrum eines Buches zu stellen, das ist neu.
Etwas erstaunt rieb ich mir dann die Augen. Dass die Geschichte aus Sicht Watsons erzählt wird folgt dem Kanon, und auch die Fähigkeiten wie Laster von Holmes entsprechen dem Gewohnten allein, in unserem Fall ist Holmes ein weiblicher Teenager.
Während Geschlechtsgenossinnen in diesem Alter shoppen bis Papis Kreditkarte glüht, sich über Make-Up Tipps austauschen und sich unsterblich in den netten Football-Star verlieben, hält unsere Charlotte sich lieber in ihrem Labor auf, untersucht Verbrechen und jagt Täter.
Als dann der junge Watson an dasselbe Internat versetzt wird, kann dies unmöglich ein Zufall sein. Dass sie einander zunächst reserviert und abwartend gegenüberstehen ist bei der gemeinsamen Historie verständlich. Die Suche nach Motiv und Täter der Kapitalverbrechen schweißt die beiden so Ungleichen dann zusammen.
Im Verlauf der spannend aufgezogenen Handlung unterfüttert die Autorin ihre Gestalten und deren Marotten mit tragisch-dramatischen Geschichten aus ihrer jeweiligen Kindheit. Während unser Watson durch die Trennung der Eltern und dem damit verbundenen Umzug aus den Staaten nach London geprägt wurde, und die Frustrationen über den Verlust der Vaterfigur, der sich einer neuen Familie zuwandte, in Aggressionsschüben kompensiert, wurde Holmes durch ihre Familie seit frühester Jugend geprägt. Die Erziehung ohne jegliche Wärme und Gefühle hat ihre Seelen verkümmern lassen, was sich auch und insbesondere durch ihre Drogensucht und Gefühlskälte dokumentiert. Dies tritt insbesondere dann zutage, als sie die Vergewaltigung scheinbar ungerührt wegsteckt, innerlich aber verkümmert. So haben sich die Beiden im wahrsten Sinne des Wortes gesucht und gefunden. Über die gemeinsame Suche nach dem Täter und dessen Motiv kommen sie sich näher, wobei sich die romantischen Szenen ganz klar der Tätersuche unterordnen müssen.
Fazit
Die Autorin präsentiert uns eine spannende, interessante Handlung, die vornehmlich durch die Parallelen zum großen Vorbild aber auch den Abweichungen besticht.
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