Die unheimlichen Fälle des Lucius Adler - Der goldene Machtkristall
- Thienemann
- Erschienen: Januar 2016
- 0
Es ist schon eine Crux, wenn man berühmte Vorfahren hat. Immer und überall wird man an den Ahnherren und Damen gemessen, hat eine Bürde zu tragen und kann sich kaum frei und eigenständig entwickeln. Dies gilt um so mehr, wenn zu seinen Vorfahren ein gewissen Dr. Watson gehört.
Gestatten, Ur-Ur-Urenkel Jamie Watson, aufgewachsen in Connecticut und London, mit geschiedenen Eltern gesegnet und jetzt von meiner allein erziehenden Mutter in ein Internat in Connecticut abgeschoben.
Dass eine gewissen Charlotte Holmes ebenfalls hier als Schülerin eingeschrieben ist, ja genau, die Holmes, die als kleines Mädchen schon den Diamantenraub aufgeklärt hat, wie einst ihr Ur-Ur-Urgroßvater höchstselbst, ist peinlich, mega peinlich.
Nun stellen sie sich aber erst einmal vor, dass ein Mitschüler von uns ermordet wird. Dass ich diesen ein paar Tage vorher vermöbelt habe, da er Charlotte unter Drogen gesetzt und vergewaltigt hatte, setzt uns - Schwupps - auf der Liste der Verdächtigen ganz nach oben. Und schon geht sie los, die deduktische Ermittlung a la Sherlock, doch irgendwie ist das, bei aller Dramatik und Aufregung auch cool, zumal mir Charlotte so langsam ans Herz wächst, auch wenn sie von ihrem Vorfahren viel zu viel Wesenszüge übernommen hat ...
Holmes und Watson reloaded
Wir kennen unseren Sherlock Holmes und seinen Gefährten Dr. Watson eigentlich in- und auswendig. Selbst über den jungen Sherlock gibt es genügend Lesematerial, allein ihre Nachkommen ins Zentrum eines Buches zu stellen, das ist neu.
Etwas erstaunt rieb ich mir dann die Augen. Dass die Geschichte aus Sicht Watsons erzählt wird folgt dem Kanon, und auch die Fähigkeiten wie Laster von Holmes entsprechen dem Gewohnten allein, in unserem Fall ist Holmes ein weiblicher Teenager.
Während Geschlechtsgenossinnen in diesem Alter shoppen bis Papis Kreditkarte glüht, sich über Make-Up Tipps austauschen und sich unsterblich in den netten Football-Star verlieben, hält unsere Charlotte sich lieber in ihrem Labor auf, untersucht Verbrechen und jagt Täter.
Als dann der junge Watson an dasselbe Internat versetzt wird, kann dies unmöglich ein Zufall sein. Dass sie einander zunächst reserviert und abwartend gegenüberstehen ist bei der gemeinsamen Historie verständlich. Die Suche nach Motiv und Täter der Kapitalverbrechen schweißt die beiden so Ungleichen dann zusammen.
Im Verlauf der spannend aufgezogenen Handlung unterfüttert die Autorin ihre Gestalten und deren Marotten mit tragisch-dramatischen Geschichten aus ihrer jeweiligen Kindheit. Während unser Watson durch die Trennung der Eltern und dem damit verbundenen Umzug aus den Staaten nach London geprägt wurde, und die Frustrationen über den Verlust der Vaterfigur, der sich einer neuen Familie zuwandte, in Aggressionsschüben kompensiert, wurde Holmes durch ihre Familie seit frühester Jugend geprägt. Die Erziehung ohne jegliche Wärme und Gefühle hat ihre Seelen verkümmern lassen, was sich auch und insbesondere durch ihre Drogensucht und Gefühlskälte dokumentiert. Dies tritt insbesondere dann zutage, als sie die Vergewaltigung scheinbar ungerührt wegsteckt, innerlich aber verkümmert. So haben sich die Beiden im wahrsten Sinne des Wortes gesucht und gefunden. Über die gemeinsame Suche nach dem Täter und dessen Motiv kommen sie sich näher, wobei sich die romantischen Szenen ganz klar der Tätersuche unterordnen müssen.
Fazit
Die Autorin präsentiert uns eine spannende, interessante Handlung, die vornehmlich durch die Parallelen zum großen Vorbild aber auch den Abweichungen besticht.
Holmes staunt Bauklötzchen
Irgendwo haben Sie doch den Namen Irene Adler schon einmal gehört? Vielleicht haben sie ihn auf einem Plakat gelesen, auf dem die sensationelle Theater-Show der einzigartigen Illusionisten angekündigt wurde, vielleicht gar entsprechende Bemerkungen in den illustren Kreisen der Gesellschaft aufgeschnappt. Oder, sie arbeiten bei der Polizei und sind hinter der besten Diebin der Welt her - vergeblich, wie ich anmerken darf.
Als letzte Variante, bei dem der Name ihnen vielleicht untergekommen sein könnte, habe ich das Strand Magazine in Petto, in dem ein gewisser Dr. Watson die Ermittlungen, pardon Deduktionen eines Sherlock Holmes für die breite Öffentlichkeit aufbereitet. Was das Ganze mit mir zu tun hat wollen Sie wissen?
Nun, ich bin Irene Adlers Sohn, helfe ihr bei ihren Auftritten auf der Bühne und begleite sie auf der ganzen Welt. Dumm ist allerdings, dass meine Mutter mich just bei eben jenem Privatdetektiv Holmes abgeladen hat, zu nahe sind ihr die Häscher auf den Fersen. Jetzt sitze ich, von Mrs. Hudson wunderbar verpflegt, bei zwei alten, merkwürdigen Männern und langweile mich zu Tode. Gut, dass Sherlocks Bruder Mycroft vorbeikommt und mich mit in seinen Club nimmt. Zwar ist dort jegliches Reden verboten, im Turm des Bauwerks aber treffen sich drei Jugendliche, die, wie ich, neu in der Stadt sind.
Theodosia besitzt nicht nur eine leibhaftige Schlange sondern auch übersinnliche Kräfte, Sebastian ist ganz der Sohn und Enkel seiner Vorfahren, den Quatermains. Er ist schon in vergessenen Stätten einstigen Hochkulturen und im tiefen Dschungel gewesen. Harold ist ein Bastler und Erfinder der Superklasse.
Als im Britischen Museum eingebrochen, und aus der Sammlung- die Allan Quatermain dort vorbereitet - ein magisches Kleinod entwendet wird, mit dessen Hilfe man Unschuldige dazu zwingen kann, Morde zu begehen, ist es an uns vier, die Verdächtigen aufzuhalten - auch wenn dies Sherlock und Lestrade so gar nicht gefällt ...
Eine neue, frische Generation mit detektivischem Spürsinn
Die beiden Autoren haben sich schon vor einiger Zeit zusammengetan, um ihre junge Leserschicht mit packendem Futter zu versorgen. Mit ihrer Drachengasse 13-Reihe haben sie dafür gesorgt, dass junge Menschen an das Medium Buch herangeführt wurden und das Schmökern für sich entdeckt haben. Nun starten sie im Thienemann Verlag eine neue Reihe. Statt aber blind dem großen Vorbild Arthur Conan Doyle und seinen Figuren zu folgen, setzen die Beiden auf deren Kinder. Der Sohn Irene Adlers und der Alan Quatermains, da verbinden sich die spannendsten Geschichten der entsprechenden Ära miteinander.
Detektivische Deduktion und verschollene Urwaldkulturen aus fernen Ländern, das übt selbst heute noch seinen Reiz auf die Leser aus. Dazu gesellen sich an Steampunk angelehnte Ideen. Etwa einen Robotbutler oder Séancen, dann als Kulisse das Victorianische London, das hat schon etwas. So läuft die Handlung spannend und rasant vor den Augen der Leser ab, werden diese förmlich ins Abenteuer hineingezogen.
Ganz behutsam versuchen die Autoren ihre Figuren dann auch mit ein wenig Tiefe auszustatten. Auch wenn der packende Plot natürlich das Buch dominiert, tauchen immer wieder einmal nachdenkliche Betrachtungen auf. Einsamkeit spielt eine Rolle, das Gefühl, von den Erwachsenen nicht ernst genommen zu werden, ausgegrenzt zu werden, oder aber auch die Macht der Freundschaft, die Halt bietet.
Fazit
So besuchen wir im Roman nicht nur ein faszinierendes London, sondern wir lernen unsere mutigen jungen Helden kennen und folgen diesen ins erste von hoffentlich vielen Abenteuern: Wartet in diesem ersten doch viel Potential darauf, noch gehoben zu werden.
Bernd Perplies, Christian Humberg, Thienemann
Deine Meinung zu »Die unheimlichen Fälle des Lucius Adler - Der goldene Machtkristall«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!