Wenn das Leben dich nervt, streu Glitzer drauf
Madeline lebt in einer sterilen Umgebung. Seit ihrer frühen Kindheit leidet sie an einer Immunschwäche. Ihre Mutter, eine Ärztin, hat alles getan, um ihre Tochter vor einer Infektion zu schützen, die ihr Todesurteil sein könnte. Madeline hat sich mit ihrer kleinen Welt gut arrangiert, lebt mit all den Einschränkungen und dem kleinen Personenkreis, mit dem sie Kontakt haben kann. Bis im Nachbarhaus eine laute, ungewöhnliche Familie einzieht.
Vor allem Olly, Sohn der Familie, hat es Madeline angetan. Er taucht wie ein frischer Wind in ihrem Leben auf, überwindet die Grenze, die Madeline umgibt und weckt in ihr den Hunger nach dem wirklichen Leben. Madeline bricht aus und wagt alles mit dem Ergebnis, dass sie zusammenbricht und zurück in ihre sterile Welt gebracht wird. Doch etwas hat sich verändert: Madeline kann die Enge ihrer Welt nicht mehr ertragen. Sie kann die Liebe zu Olly nicht mehr ertragen. Und sie sieht ihre Mutter plötzlich mit ganz anderen Augen. Denn da ist so viel Schmerz.
Die Autorin Nicola Yoon hat sich eines Themas angenommen, das nur selten in einem Jugendbuch zu finden ist. Madelines Immunschwäche steht wie ein unüberwindbarer Abgrund vor dem Mädchen und dem Leben. Solange Madeline nichts von der Welt draußen erfahren hat, kann sie in ihrer beschränkten Umgebung gut leben. Doch dann erfährt sie, was Leben wirklich bedeutet und wird sich ihrer Einschränkungen erstmals richtig bewusst. Diesen Prozess stellt Nicola Yoon wunderbar dar. Es ist gut nachvollziehbar, wie Madeline ihre Welt mit anderen Augen zu betrachten beginnt. Und einen unglaublichen Hunger auf die Welt entwickelt. Sehr schön dargestellt ist auch das Entsetzen der Mutter, die alles dafür getan hat, ihre Tochter vor den tödlichen Einflüssen des normalen Lebens zu schützen und nun zusehen muss, wie die Tochter aus diesem Schutz ausbricht, um sich dem Leben zu stellen und dabei ihren Tod in Kauf nimmt.
Eine starke, nachhaltige Geschichte
Unglaublich feinfühlig stellt die Autorin all die kleinen Ereignisse in Zusammenhang, die dazu führen, dass das jahrelang gefestigte Gefüge auseinander bricht. Weil sie die Situation von allen Seiten beleuchtet, bringt sie die Leserinnen und Leser dazu, sich tatsächlich mit der ganzen Sache auseinander zu setzen und sich nicht einzig von Madelines Traum leiten zu lassen, diese sterile Welt zu verlassen. Nach und nach wachsen die Leser in die Rolle derjenigen hinein, die Madeline schützen wollen, ihr aber gleichzeitig ein möglichst normales Leben wünschten. Damit weckt die Autorin Empathie für alle Beteiligten. Und erklärt den Schmerz, in dem sich die jeweilige Person gefangen sieht.
Die Geschichte selber ist stark und nachhaltig, doch dabei haben es Autorin und Verlag nicht belassen. Denn das Buch besticht auch durch eine ungewöhnliche Gestaltung. Madelines Welt wird mit Skizzen, Protokollen, Emails und anderem reich bebildert. Oft wirken solche Elemente in einem Roman eher kindlich und störend. Hier aber stimmt die Mischung absolut. Die Gestaltung des Romans ist eine Bereicherung und lässt den Leser nur noch näher an die Protagonistin heran kommen.
Der Roman von Nicola Yoon wurde für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2016 nominiert.
FAZIT
Wer Lust auf ein Leseabenteuer hat, das mehr bietet, als einfach ein Liebesgeplänkel, ist hier gut bedient. Die Geschichte ist tiefsinnig, mit einer Portion Humor gewürzt und ganz auf die anvisierte Altersgruppe der 14- bis 17-jährigen zugeschnitten. Allerdings ist sie so intensiv und gekonnt umgesetzt, dass auch Erwachsene, die zu diesem Roman greifen, eine stimmige und überzeugende Lektüre in Händen halten.
Lebendig und glaubwürdig mit einer sympathischen Prise Humor
Die 14-jährige Tess hat eigentlich vor, die Sommerferien mit ihrer besten Freundin in einem Jugendlager in Spanien zu verbringen. Doch es kommt alles ganz anders als sie denkt, denn ihre Eltern wollen stattdessen mit acht Verwandten unter ein Dach zu ziehen. Noch dazu hat ihr Großvater den Ferienaufenthalt der Enkelin eines finnischen Freundes in dieser neuen Großfamilie organisiert! In Tess' geordnetes Leben als Einzelkind bricht plötzlich das Chaos ein.
Tess Eltern sind beides Lehrer, aber ganz unpädagogisch stellen sie ihre Tochter vor die vollendete Tatsache, mit Großvater, Tante, Onkel, deren vier kleinen Kindern und einem weiteren Cousin, der in Tess' Heimatstadt Frankfurt Philosophie studieren will, unter ein Dach zu ziehen und so eine Großfamilie zu gründen. Dieses Projekt passt dem Einzelkind Tess überhaupt nicht, weil ihr bisher so geordnetes Leben plötzlich aus den Fugen gerät.
Das Chaos wird noch grösser, als sich ihr weiblicher Feriengast als der 16-jährige blonde und gut aussehende Junge Mika erweist. Zwar gehen sie sich anfangs eher aus dem Weg, bis sich dann später eine zarte Liebesbeziehung entwickelt. Auch das Zusammenleben als Großfamilie unter einem Dach stellt sich für alle als nicht so einfach heraus. Da wird der Geräuschpegel vier kleiner Kinder, die alles Mögliche im Hausflur abstellen, schnell zum Problem. Auch die Gestaltung des gemeinsamen kleinen Gartengrundstücks entwickelt sich zum unüberwindlich scheinenden Streitpunkt. Früher kam Tess eigentlich gut mit ihrer Tante aus, jetzt hat diese an Tess allerlei auszusetzen und das nervt Tess schon sehr. Nervend ist auch das gluckenhafte, überbehütende Verhalten ihrer Eltern, die der sich anbahnende Liebesbeziehung zwischen Tess und Mika eher besorgt gegenüberstehen.
Trost und Halt findet Tess da im Antiquitätenladen, der sich unten in ihrem Haus befindet. Als sich dessen Inhaberin, eine nette, ältere Dame, plötzlich ein Bein bricht, übernimmt Tess kurzerhand mit ihrem Großvater die Leitung des Ladens. Dies ist ein wohltuender Ausgleich, nicht nur zum Chaos, das das Leben in einer Großfamilie mit sich bringt, sondern auch zum Gefühlchaos, das in Tess tobt, ausgelöst von Mika, den zudem ein Geheimnis umgibt. Wird es Tess gelingen, sich mit dem Projekt "Großfamilie" auszusöhnen, zu ihren Eltern wieder eine entspanntere Beziehung zu finden und doch noch ihre Pläne von einem Urlaub an spanischen Stränden zu verwirklichen?
Lebendig und glaubwürdig mit einer sympathischen Prise Humor
Mit geübter Hand präsentiert uns die gelernte Journalistin Mara Andeck die Sorgen und Nöte der vierzehnjährigen Tess. Dass es sich hier nicht nur um austauschbares Lesefutter und ein typisches Mädchenbuch handelt, wird schon beim etwas rotzig klingenden Titel deutlich. Auch das Titelbild ist eher sachlich und modern in beige gehalten und kommt ganz ohne das bei jüngeren Mädchen so beliebte Rosa und jeglichen kitschigen Glitter aus.
Genauso sachlich und glaubwürdig wirken auch die meisten Charaktere. Allen voran die Heldin Tess, die zur Gattung "freches" Mädchen gehört, eine modernere Variante der Heldin eines herkömmlichen Mädchenbuches. Ein "freches" Mädchen handelt selbstbestimmt, nimmt sein Schicksal selbst in die Hand und wartet nicht auf eine Lösung von außen.
Aber ohne einen Märchenprinzen kommt auch dieses "freche" Mädchenbuch nicht aus. Und dieser Märchenprinz, blond und gut aussehend, wirkt fast zu schön und verständnisvoll, um wahr zu sein. Die übrigen Charaktere wirken da schon realistischer, allen voran die "gluckenden" Eltern, die sich eher schwer damit tun, dass Tess ihre eigenen Wege gehen will. Das Thema Älterwerden beschäftigt nicht nur die heranwachsende Tess und ihre Umgebung, sondern auch ihren Großvater und dessen Kinder und Enkel. Nicht nur, dass man sich um ihn im Alter mehr kümmern muss; seitdem er in Rente ist, braucht er auch eine neue Aufgabe.
Am Puls der Zeit ist auch das sehr aktuelle Thema "Großfamilie", eine Lebensform, die den meisten Lesern aus eigener Erfahrung eher unbekannt sein wird. Die daraus erwachsenden Schwierigkeiten und Konflikte sorgen zwar oft für Situationskomik und veranlassen den Leser zum Schmunzeln, arten aber nie in überzogen wirkenden Klamauk aus. Jedes Kapitel wird von einem Brief abgeschlossen, den Tess entweder selbst geschrieben oder als Antwort erhalten hat. Z.B. vom Kultusministerium, einer Casting Agentur etc. Es sind auch Listen dabei z.B. zum Thema "Erfindungen, die die Welt unbedingt noch braucht". Diese Einlagen geben nicht nur einen guten Einblick in Tess' Seelen- und Gefühlsleben, sondern lesen sich witzig und amüsant und steigern Lesevergnügen und Lesetempo.
Geeignet auch für ungeübte Leserinnen ab zwölf.
FAZIT
Ein modernes Mädchenbuch, das auf glaubwürdige Weise die Gefühle und Nöte eines heranwachsenden vierzehnjährigen Mädchens darstellt.
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