Jetzt ist alles, was wir haben
Schonungslos erzählt die Autorin über eine fehlgerichtete Vaterliebe.
„Mein Vater schießt aus dem Arbeitszimmer, eine Windböe vor dem Sturm, seine Schritte sind das Grollen des Donners, sie kommen näher, näher.“
Ihr Vater erwartet stets das Beste von ihr. Wenn nötig, holt er es sich mit Gewalt. Ihre Mutter versucht, sich im Alkohol zu ertränken und die perfekte Familie vorzugaukeln. Hadley kennt nur dieses Leben, hält all das stets vor anderen verborgen. Doch insgeheim will sie daraus ausbrechen. Der attraktive Bradley scheint ein Ausweg zu sein – oder die letzte Versuchung.
Die perfekte Tochter, die sie nie zu werden scheint
Hadley ist schwer verletzt – ein Flugzeugabsturz nimmt ihr fast das Leben und bedeutet gleichzeitig einen Wendepunkt. Von nun an ist es ihre dringendste Aufgabe, wieder völlig zu genesen. Doch es geht nicht nur um die körperlichen Schäden, sondern vor allem auch um ihre Albträume, ihre Schuldgefühle und das Verlangen, ihr Leben zu beenden. Doch wie konnte es zu diesem Drama kommen?
Einige Monate wirkt Hadley noch wie eine ganz normale Jugendliche. Sie hat Spitzennoten, ist erfolgreich im Sport und ihre beiden besten Freunde und ihre Schwester Lila vergöttern sie. Doch dann ist da noch die andere Seite: in stillen Momenten wirkt sie nachdenklich, bröckelt die Fassade vom glücklichen Mädchen in der heilen Welt. Denn sie steht immer unter dem Druck, besser sein zu müssen als alle anderen, die Leistung noch ein bisschen mehr zu erhöhen. Ausgerechnet der Part in ihrem Leben, der sie beschützen und lieben sollte, setzt sie unter diesen Zwang: ihr Vater.
Bisher hatte sie alles unter Kontrolle, nahm die Unterdrückung in Kauf, vor allem, um Lila zu beschützen. Doch dann tritt Bradley in ihr Leben und stellt es auf den Kopf. Sie verliebt sich Hals über Kopf in ihn und auch er kann seine Gefühle nicht lange zurückhalten. Somit wirft Hadley alle Vorsicht über Bord und lässt sich auf ihn ein – trotz des Verbotes ihres Vaters.
Eindringlich, packend und zwischendurch auch wundervoll
Jetzt ist alles, was wir haben spielt zielgerichtet auf den Moment zu, auf den es ankommt, wo einem kein Ausweg mehr bleibt außer klitzekleiner Ausflüchte, die das Leben erstrebenswert machen. Das Buch berührt, macht wütend, hinterfragt menschliche Handlungen, die aus falschen Motiven heraus geschehen und lehrt, wie stark ein Mensch dennoch bleiben kann. Es beeindruckt auf so vielen Ebenen, aber vor allem beeindruckt Hadley.
Sie als Protagonistin könnte nicht besser in diese Geschichte hineinpassen. Sie ist wahnsinnig stark und auch ihre Freunde imponieren mit einer für ihr Alter beachtlichen Reife. Einzig Bradley fiel ab und zu aus dem Rahmen, war als Gegensatz zu Hadley jedoch genau das, was sie brauchte. Hier hat Amy Giles grandiose Arbeit geleistet.
Bedeutend ist vor allem ihre Fähigkeit, ein so schwieriges Thema wie (körperliche, keine sexuelle!) Kindesmisshandlung für junge Leser gewissenhaft zu verpacken. Behutsam deutet sie die Thematik anfangs nur an, ehe sie später die Sache beim Namen nennt. Sie beschönigt nicht, überfordert jedoch auch nicht mit einem willenlosen Opfer, das sich schon längst verloren hat. Jederzeit würde ich Giles ein ähnlich schwieriges Thema zutrauen.
Für die volle Punktzahl hat es dennoch nicht gereicht, da der Einstieg in die Geschichte zu sperrig war und die Interviews Beteiligter zur möglichen Absturzursache nicht gut geschrieben waren. Auch war die Handlung nicht ganz ausgereift. Sie hätte ein bisschen mehr Tiefe vertragen können. Doch es bleibt ein bewegendes Buch.
Fazit:
Es ist kein Buch, das unterhält. Es ist eine tragische Geschichte, die trotz dessen auch viel Gutes beinhaltet. Schonungslos erzählt die Autorin über eine fehlgerichtete Vaterliebe. Wie ernst sie dieses Thema nimmt, hält sie in einem persönlichen Nachwort fest.
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