Die schwarzen Wasser von Venedig

Taschenbuch, 448 Seiten

ISBN: 9783522202541

Die schwarzen Wasser von Venedig
Die schwarzen Wasser von Venedig
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Kirsten Kohlbrei
7101

Jugendbuch-Couch Rezension vonJul 2019

Venezianische Verbrechen im Krimidoppelpack

Venedig, „la serenissima“, die romantische Lagunenstadt mit dem morbiden Charme ist mit seinen Kanälen, Brücken, verwinkelten Gassen und versteckten Plätzen immer wieder beliebter Schauplatz für Kriminalromane. Auch Kommissar Roberto Gorin geht dort in zwei Erzählungen auf Tätersuche.

Rätselhafte Unglücke unter Schülern

In FreierFall wird der commissario trotz Ferienzeit an eine Schule gerufen, weil dort eine Schülerin aus ungeklärten Gründen aus dem Fenster eines Klassenraums im dritten Stock gestürzt ist. Die sechzehnjährige Caterina Loredan überlebt zwar schwer verletzt, jedoch mit der Diagnose Querschnittslähmung. Da sie die Tochter eines einflussreichen contes ist, wünscht Gorins Chefs bei der Klärung des Vorfalls diskretes Vorgehen. Um Fremdverschulden ausschließen zu können, erhofft sich Kommissar Gorin brauchbare Hinweise der Bauarbeiter, die das Opfer gefunden haben. Die Befragung erweist sich allerdings als schwierig, weil in der Baufirma illegale Arbeitskräfte beschäftigt werden und der Hauptzeuge erstmal nicht auffindbar ist. Auch der Vater des Mädchens mauert und möchte den Sturz als Unfall verstanden sehen. Als Roberto dann erfährt, dass Caterina Magersucht hat und zu einer Therapeutin ging, hält er auch einen Selbstmordversuch für denkbar.

Mitten in seine Ermittlungsarbeit erreicht ihn plötzlich die Nachricht über die Verhaftung seiner Nichte Chiara, die sich gerade für ein Projekt von ihrer Schule in einem Indianerreservat in Santa Fe in New Mexico aufhält und aufgrund von Mordverdacht festgenommen wurde. Ihr wird vorgeworfen, ihren Freund Luca in einen Canyon gestoßen zu haben. Da Chiara und die verunglückte Caterina die gleiche Schule besuchen, kommt Roberto die zeitliche Nähe der ähnlichen Unfälle seltsam vor. Überzeugt von Chiaras Unschuld, fliegt er nach Amerika. Dort gelingt es ihm, die Umstände des Todes des Jungen aufzuklären. Zurück in Venedig hilft ihm die Reise schließlich bei der Lösung des offenen Falls. Von einer Projektteilnehmerin bekommt er Caterinas Tagebuch zugespielt, das die erschütternde Wahrheit aufdeckt und die Ereignisse ins Rollen bringt.

Mord auf dem Golfplatz

In Schatten der Angst wird der wohlhabende Finanzexperte Commandatore Filippo Nardi bei einer Runde Golf auf Venedigs grünem Rasen erschossen. Kommissar Gorin soll den Fall übernehmen, obwohl ihn gerade das Verschwinden eines kleinen Mädchens vielmehr umtreibt. Als sich dann aber herausstellt, dass die kleine Carlotta direkt neben dem Palazzo des Toten wohnt, ist ein Zusammenhang zwischen den Fällen nicht auszuschließen. Der commissario startet seine Ermittlungen mit Undercover-Golfstunden am Tatort und stößt auf erste Verdächtige und Motive. Ein Gerücht zur Folge soll Nardi seine Hände beim Verkauf des Golfareals im Spiel gehabt haben. Weitere Recherchen bringen den Namen einer obskuren Firma zu Tage, die als Käufer aufgetreten ist.

Auch die Testamenteröffnung liefert in dieser Hinsicht weitere Verdachtsmomente. Die Verlesung des letzten Willens des Ermordeten bringt zudem vor allem für dessen Großneffen Luca, als einzigen lebenden Verwandten, eine Überraschung. Als vermeintlicher Alleinerbe gehört er zwangsläufig ebenso zum möglichen Täterkreis. Doch mit der Zeit verdichten sich für Roberto mehr und mehr die Anzeichen, dass die Schuldigen woanders zu finden sind. Insbesondere als der IT-Experte Bossi bei seiner Online-Suche über den Namen eines bekannten Mafia-Bosses stolpert und plötzlich nicht zur Arbeit erscheint. Die Lösung kommt schließlich mit einem weiterem Toten, der aus der Lagune geholt wird.

Wenig Anreiz für die Zielgruppe

Die beiden Erzählungen, die erstmals in einem Band veröffentlicht werden, sind in Einzelbänden bereits 2006 und 2007 erschienen und damit so alt, wie die ihnen zugedachte Lesergruppe heute. Dagegen spricht zunächst erstmals nichts, aber es fehlt an Aktualität z.B. bei Venedigs Problemen mit dem Massentourismus und der wachsenden Umweltbelastung. Da hilft auch eine Überarbeitung des Textes nicht viel, in dem der Name Trump gelegentlich fällt.

Die österreichische Autorin Edith Schreiber-Wicke lebt zeitweise in Venedig. Diese Vertrautheit mit dem Ort und der italienischen Lebensweise spiegelt sich in den anschaulichen Beschreibungen positiv wider, die besondere Stimmung der Stadt wird so sehr schön eingefangen. Dagegen sind die vielen verwendeten italienischen Begriffe weniger passend, da diese nicht immer leicht zu verstehen sind. Hier wäre ein Glossar mit Übersetzung hilfreich gewesen.

Ein generelles Manko des Buches ist die Alterszuordnung. Über weite Stellen ist die Geschichte sprachlich und thematisch für dreizehnjährige Kids nicht sonderlich ansprechend. Kafka-Verweise oder ein Plot um Wirtschaftskriminalität garantiert nicht unbedingt das Leseinteresse der Zielgruppe. Auch die Figur des commissario lädt nicht zur Identifikation mit dem Protagonisten ein. Dazu kommt Roberto Gorin als „älterer Herr“ zu gesetzt daher und bleibt in seiner Kontur eher blass.  Zwar liebt er seine Frau Sandra und den seit seiner Geburt behinderten Sohn Samuele, aber viele Gelegenheiten für Gemeinsamkeiten nutzt er nicht, zudem wandern seine Gedanken öfters zu einer Kollegin nach Rom. Insgesamt braucht es Zeit, um mit seiner eher grüblerischen, unverbindlichen Art warm zu werden. Als gebürtiger Venezianer kennt Gorin seine Stadt, ihre Bewohner und ihre Machenschaften genau. Ein Vorteil, der ihm bei seiner Ermittlungsarbeit zu Gute kommt. 

Mäßiger Spannungsbogen

Allerdings ist das Krimipotenzial der beiden Fälle ohnehin nicht allzu hoch, wobei der zweite Band noch mehr Spannungsmomente liefert.  Dazu trägt bei, dass der Leser das Geschehen auch aus der Sicht Lucas mitverfolgt, der sich in einer Nebenhandlung für den Tod seines Großonkels verantwortlich fühlt und erpresst wird. Der Ausflug nach Amerika im ersten Band wirkt dagegen etwas konstruiert. Der überwiegende Teil der Figuren ist hier dafür im Teenager-Alter, so dass die Leser leichter Bezug finden können.

Der Autorin vermag es auch durchaus, die Gedankenwelt der Jugendlichen stimmig abzubilden. Wenn sie allerdings versucht die Krimihandlung mit altersrelevanten Problemen wie dem einer Essstörung zu ergänzen, gelingt das wenig überzeugend, stellenweise sind die Äußerungen und das Verhalten ihres Kommissars dann sogar unsensibel. Auch das brisante Thema, das mit der Lösung des ersten Falls in den Focus rückt, wird nicht tiefergehend verfolgt.

Fazit

Die beiden Venedigkrimis können erhoffte Erwartungen nicht erfüllen und enttäuschen in puncto Plot, Charakterentwicklung sowie Spannungselementen. Kenner der Brunetti-Reihe von Donna Leon drängt sich ein Vergleich auf, den die Autorin im Text mit einer Äußerung eines Touristen selbst bedient: „That's better than reading Donna Leon“. Das ist allerdings mehr als fraglich. Letztlich ist es wieder der Ort des Geschehens, der allen Widrigkeiten der Zeit trotzen kann, dem Leser Vergnügen bereitet und dem Band allein damit einen Punkt mehr beschert. Mit den gemachten Abstrichen kann das Buch dann doch noch zur Reiselektüre beim nächsten Venedig-Besuch werden.

Die schwarzen Wasser von Venedig

Edith Schreiber-Wicke, Thienemann

Die schwarzen Wasser von Venedig

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