Wer opfert sein Leben für das eines Freundes?
Irgendwo im Nirgendwo
Bee und ihre vier Freunde sind tot. Oder doch nicht? Sie befinden sich in der Niemalswelt. Entkommen klingt einfach: Eine Abstimmung soll entscheiden, wer von den fünf leben dürfen, während die anderen vier sterben.
Er ist tot Jim! Ääh… ich meine: Jim ist tot!
Ein strahlender Stern könnte Jim Mason genannt werden. Jung, voller Erwartungen, nur leider tot. Selbstmord, heißt es. Für seine Freundin Beatrice, kurz Bee genannt, ein Schock, von dem sie sich nur schwer erholen kann. Erst ein Jahr später schafft sie es, sich mit ihrer Clique wieder zu treffen, um Klarheit über den Tod ihrer Liebe zu gewinnen. Die Wiedervereinigung der Freunde endet in einem Autounfall, was zunächst niemandem bewusst ist.
Steht da so ein Typ vor deiner Haustür und sagt: „Ihr seid tot!“ (eigentlich irgendwas dazwischen), dann kann das schon für einen schlechten Aprilscherz gehalten werden. Erlebst du denselben Tag immer wieder, kommt doch der Gedanke auf, dass der vermeintliche Scherz ernst zu nehmen ist.
Spätestens nach dem dritten Mal erkennen die Freunde mit den Namen Bee, Whitley, Cannon, Kipling und Martha, dass der Überbinger der Todesnachricht keine Scherze macht.
Etwas Filmgeschichte
In den 90er Jahren gab es einen Film, der auf Deutsch „Und täglich grüßt das Murmeltier“ heißt. Alte Filmfreunde mögen den Film kennen. Allen anderen hier nur eine kurze Inhaltsangabe:
Ein Lokalreporter – gespielt von US-Schauspieler Bill Murray – soll in einem kleinen Provinznest vom Murmeltiertag berichten. Durch mystische Einflüsse erlebt er jedoch denselben Tag jedes Mal von vorne. Nach einigen Ausschweifungen, wie zum Beispiel dem Raub eines Geldtransporters, erkennt er, dass er nur durch gute Taten der ewigen Zeitschleife entkommen kann.
Auch die Niemalswelt von Marisha Pessl funktioniert so. Ebenfalls setzt sie voraus, dass dem Leser dieser Film bekannt ist. Nur leider birgt der Roman weniger Freude und Tragik als der Film mit dem Murmeltier.
Jeden Tag eine gute Tat
Die gute Tat zu finden, welche das Entkommen aus der „Niemalswelt“ ermöglicht, scheint simpel: Wer opfert sein Leben für das eines Freundes? Dass dies zunächst niemand tut, ist logisch. Vielmehr folgt der Leser den Ausschweifungen, dem Wahnsinn und den Rückblenden seiner Protagonisten. Einzig Bee und ihre Freundin Martha sind die Gesittetsten, welche sich nicht dem Rauschzustand dieser Welt hingeben. Erst nach zig Tagen – Bee beschreibt es so: „Mögen es zwei oder Millionen sein“ – können sich die fünf jungen Erwachsenen einigen. Ihre gute Taten bestehen darin, herauszufinden, was wirklich mit ihrem Freund Jim geschehen ist.
Kompakte Absurdität
Mit der Entscheidung, die wahren Hintergründe über den Tod ihres Freundes herauszufinden, entwickelt sich die Geschichte in eine noch abstraktere Erzählung. Zwar mögen die fünf jetzt die besten Detektive aller Zeiten in ihrer Niemalswelt sein, jedoch einen Fall zu lösen, der ein Jahr zurück liegt, gestaltet sich auch für sie langwierig. Die Befragung von Personen ohne auf Konsequenzen am nächsten Tag zu stoßen, mag ja noch glaubhaft sein. Doch tagtäglich eine Polizeistation zu überfallen für eine bestimmte Ermittlungsakte mit ausgeklügelter SWAT-Taktik wirkt nur zu einfach.
Jeder kocht sein eigenes Süppchen
Nicht nur, dass sich der Roman dadurch kennzeichnet, wie ein amerikanischer Teenager-B-Movie gestrickt zu sein, wo nur wenig sinnvolle Handlung erwartet und mehr körperliche und materielle Perfektion geboten wird. Auch ist jeder Protagonist von Egoismus geprägt. Jeder hat ein eigenes Geheimnis oder kocht sein Süppchen in der Geschichte, dessen Aufdeckung nicht gerade aus dem Stuhl haut. Für die ganzen Helden dieser Geschichte würde eines passen: „Ehrlich währt am längsten“.
Fazit:
Niemalswelt ist ein kafkaeskes Konstrukt, das leider nicht durch seine Handlung beeindruckt. Als Verfilmung könnte dieses Buch vielleicht noch annehmbar sein. Als Roman ist es für den Leser ebenfalls ein gefühltes Gefängnis in einer sinnlosen Zwischenwelt.
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