I’ll be back – Erebos meldet sich zurück
„Es heißt Selfie, weil Narzisstie zu schwer zu buchstabieren ist.“
Eine der beiden Hauptfiguren aus Erebos ist der 16-jährige Schüler Nick Dunmore. In Erebos 2 ist er Student und finanziert sein Studium als Hochzeitsfotograf. Er ist gerade von einem Auftrag zurück, als sich Erebos nach langer Zeit wieder bei ihm meldet. Aufgrund seiner Erfahrungen zehn Jahre zuvor reagiert Nick ablehnend, worauf Erebos ihm den Zugriff auf die aktuellen Fotos versperrt. Nick braucht das Geld und sieht sich gezwungen, auf Erebos einzugehen.
Die zweite Hauptfigur ist der Schüler Derek, der Probleme mit seiner Impulskontrolle hat. Erebos meldet sich bei ihm mit dem Hinweis, er sei auserwählt. Dennoch reagiert Derek zurückhaltend, weshalb Erebos ihm androht, er werde alles, was ihm wichtig sei, verlieren, wenn er nicht mitspielt. Derek lässt sich schließlich auf Erebos ein, weil das Spiel sein Handy kontrolliert.
Die Handlung vollzieht sich wie im ersten Roman in zwei Welten: Die Alltagsszenen werden in der Vergangenheitsform, die Zeit im Spiel in der Gegenwartsform erzählt. Gibt es am Anfang noch eine Trennung in Kapitel mit je einer Hauptfigur - Nick oder Derek - kommt es bald natürlich zur Begegnung der beiden. Erzählt werden die Geschehnisse in dreißig Kapiteln, die um sechs weitere mit einer Erzählinstanz ergänzt werden, die ihre Gedanken in der Gegenwart und ersten Person Singular wiedergibt.
Diese erzählt von ihrem Kampf gegen einen mächtigen Gegner, in dem Menschen rekrutiert werden. Sie hat Einblick in das, worum es geht. Einmal sagt sie: „Ich liege im Bett“. Ist es die Person hinter Erebos? Eine Art Mensch-Maschine hinter dem Online Game dürfte es nicht sein, weil die Handlung im Heute spielt.
Mehr noch als im ersten Band fragt man sich in Erebos 2, wer hinter dieser hochentwickelten künstlichen Intelligenz steht. Sie hat sich nicht selbst geschaffen, mag sich allerdings durchaus in die Autonomie entwickelt haben. Vielleicht gibt es ja einmal eine Fortsetzung des Romans, in der die Geschichte von Erebos erzählt wird.
Wie im ersten Teil gestaltet Poznanski die Spielszenen fantasievoll und einfallsreich. Nick findet als Sarius zu seiner eigenen Überraschung nach all den Jahren schnell wieder in das Spiel hinein. Derek als Torquan hat anfangs kleinere Probleme. Natürlich läuft wieder viel über Kämpfe, so gegen eine Echsenfrau und Tiere, die wie Killerasseln aussehen, und über die Bildung von Koalitionen, weshalb Sarius und Torquan irgendwann aufeinandertreffen. Die im Spiel etablierte Fantasywelt weist Verbindungen zur Realität der Erzählung auf.
Disziplinierung und Kontrolle
Erebos hat in den vergangenen zehn Jahren offensichtlich dazugelernt, arbeitet mit Spracherkennungssoftware und nutzt andere neue Technologien. Über CCTV, GPS und Google Maps hat es Zugriff auf den öffentlichen Raum. Vor allem hat Erebos seinen Einfluss ausweiten können, weil die Regierung mithilfe neuer Technologien ebenfalls Kontrolle ausübt. Erebos wird so zu einer machtvollen Instanz, die, sowohl kontrollierend als auch disziplinierend, mit Strafe und Belohnung arbeitet. So spielt Erebos Nick Informationen zu, sagt aber mit einer Fake- Email einen wichtigen Gesprächstermin bei seinem Professor ab.
Poznanski ermuntert zum Nachdenken über größere Fragen, über digitale Kommunikationstechnologien und deren Überwachungspotenzial durch Regierungen, Softwarefirmen oder eben Erebos; aber auch über einfache Fragen wie der, womit man einen Menschen zur weiteren Bearbeitung ködern kann. Wie würden wir uns verhalten, wenn für eine anstehende Klausur Erebos die Aufgaben und Lösungen bereitstellt?
Aber nicht nur anonyme Mächte und Institutionen missbrauchen diese Kommunikationstechnologien, sondern auch die privaten Nutzer selbst, beispielsweise um Mitschüler zu demütigen, zu mobben oder zu erpressen. Entgehen kann man der Kontrolle nur, wenn man sich in der sogenannten analogen Sphäre bewegt: ein Auto ohne GPS fährt, einen Brief von Hand geschrieben im Umschlag mit der traditionellen Post verschickt.
Mission Impossible in der analogen und digitalen Welt
Erebos schickt seine Mitarbeiter dieses Mal gegen einen realen Gegner in den Kampf. Was hat es mit dem Grabstein für den 1875 tot geborenen Lawrence auf sich? Was haben der Parlamentarier Gresham und dessen Tochter Jessica mit der mysteriösen Sache zu tun? Stellt Menschenhandel eine Verbindung zwischen dem 19. und dem 21. Jahrhundert dar? Es entwickelt sich ein Spiel wie eine Schnitzeljagd, der Ernst und das Problem dahinter sind anfangs unklar; sie werden später zu einem Mysterium, das es aufzuklären gilt. Dreh- und Angelpunkte sind für die Spieler: Was weißt du über deine Herkunft? Willst du mehr wissen? Falls ja, installiert sich Erebos und man wird aus seiner heilen Welt gerissen und auf eine kryptische „Mission Impossible“ geschickt, deren Verschlüsselungsgrund langsam ebenso klar wird wie die Gegenseite, auf die Erebos es abgesehen hat.
Fazit
Ursula Poznanski hat mit Erebos 2 nicht nur einfach eine Fortsetzung eines der besten Jugendbücher der vergangenen Jahre geschrieben. Sie hat auch das Zusammenwirken von Erebos und seinen „Spielern“ verändert und eine Art technologisches Upgrade vorgenommen. Insgesamt fällt die Fortsetzung nicht hinter dem ersten Band zurück.
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