Wild is the wind
Seit ihrer Kindheit tyrannisiert der Vater die siebzehnjährige Nora und ihre Mutter mit seinen Alkoholexzessen, bei denen er oft gewalttätig wird. Auch wenn er dabei meist seine Tochter verschont, hat Nora gelernt, sich in diesen Situationen unsichtbar zu machen. Doch wenn es zu viel wird, stellt sie sich schützend vor ihre Mutter, die den Misshandlungen nichts entgegenzusetzen hat. Statt sich und Nora in Sicherheit zu bringen, versucht sie nach außen die gutbürgerliche Fassade der intakten Familie aufrecht zu erhalten.
An einem Abend traktiert Noras Vater seine Frau so schlimm, dass Nora in blinder Wut ihrerseits zum ersten Mal zurückschlägt und der Vater bewusstlos zu Boden geht. Ihre Mutter verlässt danach das Haus und verschwindet damit ohne weitere Erklärungen oder einen Abschied aus Noras Leben.
Gewalt wird zur Lösung
Der Vater kommt ins Krankenhaus und kehrt erst nach einer Entziehungskur zurück. Nun ist es aber Nora, die den Ton angibt. Seit sie ihn verprügelt hat, ist die Angst vor ihm verschwunden. Für sie ist Gewalt zur Lösung geworden, um gesehen zu werden und sich nicht mehr verstecken zu müssen. Infolgedessen kommt es auch in der Schule und andernorts zu Handgreiflichkeiten. Noras Verhaltensänderung ist so eklatant, dass auch ihr Klassenlehrer aufmerksam wird. Er motiviert sie dazu, ihre Mitarbeit bei der Schülerzeitung wiederaufzunehmen. Der investigative Artikel, den sie daraufhin über die Machenschaften des Schlachthofs der Stadt verfasst, wird allerdings nicht abgedruckt. Um die Tierquälerei trotzdem an die Öffentlichkeit zu bringen, kettet Nora sich am Eingangstor des Betriebs an.
Ihre spektakuläre Aktion weitet sich zu einer kleinen Demonstration aus, die von der Polizei aufgelöst werden muss und zu einer Verurteilung zu Sozialstunden bei der internationalen Meeresschutzorganisation Ocean Watch nach sich zieht. Zu Sarah, einer engagierten Mitarbeiterin, fasst Nora sofort Vertrauen und nimmt das Angebot, ihr Pflichtkontingent bei einem Einsatz in Kanada an einem Stück abzuleisten, an. Dort wird sie als Observer eingesetzt, um die Einhaltung der Fangquote der Fischflotte zu kontrollieren. Sie kommt auf die Jenny M, den Kutter der deutschsprachigen Familie Meinart, die mit drei Generationen, Großvater, Vater und Sohn, an Bord auf Schwertfischfang geht. Die Fischer wurden bereits wegen gefälschter Fangzahlen zu hohen Geldbußen verurteilt und vor allem Johan, der junge Kapitän, sieht in Nora nur einen überflüssigen Störenfried auf seinem Schiff.
Zusammenhalt im Kampf ums Überleben
Trotz Sturmwarnung fahren sie auf der Suche nach Schwertfisch raus aufs Meer. Die Stimmung zwischen Nora und Johan ist angespannt, während sie in Gesprächen mit dem Großvater sehr viel über die Fischerei und auch den Prozess gegen die Meinarts erfährt. Als sich das Wetter zunehmend verschlechtert, beeindruckt sie jedoch Johans Kompetenz am Steuerrad und seine unerschütterliche Zuversicht. Gegen die ungeheuerliche Wucht dieses Sturms bleibt das Schiff und seine Besatzung chancenlos und plötzlich finden sich Nora und Johan gemeinsam in einem Rettungsboot wieder, mit der Gewissheit, dass sie im Überlebenskampf gegen diese Naturgewalt nur als Team und nicht als Gegner eine Chance haben...
Wie schon in der Rezension bemerkbar, braucht es einiges an Vorgeschichte, bis man zum eigentlichen Punkt kommt. Zwar erzählt der Autor Noras Geschichte flüssig und gut leserlich, sein Versuch dabei Themen wie Klimawandel, Natur- und Tierschutz auf eine persönliche Ebene zu bringen, glückt jedoch nicht wirklich überzeugend. Das liegt vor allem daran, dass er die Haupthandlung nicht stringent und glaubwürdig verfolgt und zudem mit zu vielen Details und weiteren Handlungssträngen überfrachtet. Allein der persönliche Background der Protagonisten greift schon genug gravierende Themen für eine tiefgreifende Erzählung auf.
Plot mit Unstimmigkeiten
Nora ist emotional vernachlässigt und erlebt Zuneigung eigentlich nur in der Begegnung mit Tieren. Da verwundert es, wie schnell sie sich innerhalb kurzer Zeit mit Sarah und Johan gefühlsmäßig auf ihr bis dahin unbekannte Personen einlassen kann. Zumal Noras Männerbild vorbelastet ist und daher eine so schnelle Bindung zu Johan unglaubwürdig erscheint. Dadurch wirkt die Geschichte konstruiert.
Im gesamten Text stößt man auf solche Ungereimtheiten, die verhindern, dass eine in sich stimmige runde Geschichte entsteht. Das ist schade, weil es Christoph Scheuring an anderen Stellen, durch atmosphärisch dichte Darstellungen, durchaus gelingt, Stimmung einzufangen und Spannung zu erzeugen.
Die Charaktere haben überwiegend Kontur. Nora ist mit ihrer derben Ausdrucksweise, dem Hang zu Handgreiflichkeiten und ihrem Misstrauen gegenüber anderen, eher sperrig. Ihr abgrenzendes Verhalten und ihre vermeintliche Härte als Folgen ihrer traurigen Biografie sind in der Wirkung fatal, da ihr Umfeld und auch die Leser ihr mit wenig Empathie und Mitgefühl begegnen, als sie tatsächlich braucht. Mit ihren Auffassungen und Verhaltensweisen transportieren die Figuren stellenweise aber auch einfach gängige Klischees und stehen sich in Schwarz-Weiß-Malerei gegenüber.
Gut zum Thema passend, ist der hochwertige, nachhaltig hergestellte Einband des Buches mit schlichtem, schönem Cover.
Fazit
Der vielversprechende Ansatz, mit einer spannenden Beziehungsgeschichte das Augenmerk auf wichtige Umweltthemen zu lenken, wird leider nicht effektiv umgesetzt. Weniger ist bekanntlich oft mehr und so verliert sich dieser Hauptgedanke in einer Vielzahl anderer aufgeworfener Themen und wird zum „Sturm im Wasserglas“. Dabei lesen sich einzelne detailreiche Passagen anschaulich bis fesselnd.
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