Den richtigen Moment verpasst
Für viele wäre es ein Traumleben, doch für Halle ist es anstrengend, mit ihren Eltern – erfolgreichen Dokumentarfilmern – immer wieder an einem anderen Ort zu leben. Als es nach Israel gehen soll, entschließen sich Halle und ihr Bruder, das Jahr stattdessen beim Großvater zu verbringen, der den Verlust seiner geliebten Frau verkraften muss. Obwohl es Halle schwerfällt, sich von ihren Eltern zu verabschieden, ist sie sicher, den richtigen Weg beschritten zu haben. Denn Halle steht nicht nur ein Jahr vor ihrem Schulabschluss, sie hat sich als erfolgreiche Bloggerin Kels eben erst etwas aufgebaut, das sich in einem Jahr Abwesenheit verflüchtigen dürfte. Als Buchbloggerin ist Halle eng mit Nash befreundet, mit dem sie viel verbindet.
Schon kurz nach ihrer Ankunft beim Großvater trifft Halle in der Bibliothek auf eben diesen Nash und traut sich im ersten Moment nicht, ihm ihre Identität als Kels auf den Tisch zu legen. Damit verpasst sie aber den einzigen Moment, in dem sie das hätte tun können, ohne Nash vorzuführen. Denn der junge Literaturfreund scheint in Kels verliebt zu sein – und Halle fürchtet sich, dass die reale Figur für ihn eine Enttäuschung sein könnte. So spielt sie eine Rolle und verstrickt sich immer tiefer in eine ausweglose Situation.
Online-Identität und Realität
Marisa Kanter nimmt sich des Themas „Fiktion und Realität“ an. Dies in einer höchst interessanten Konstellation. Feinfühlig beschreibt sie den Charakter Halles – ein Mädchen, das mit zu wenig Selbstvertrauen ausgestattet ist und sich deshalb nur in der Figur der fiktiven Bloggerin Kels wirklich entfalten kann. Dieser verlockende Identitätswechsel wird aber zum Problem, als sich Realität und Fiktion unvermutet überschneiden. Die Autorin stellt eindrücklich dar, wie sich Halle immer schwerer tut mit dem Schwindel – und sich irgendwann dessen bewusst ist, dass sie Nash unweigerlich verletzen wird, sollte die Wahrheit an den Tag kommen. Doch auf Dauer ist die Scharade nicht durchzuhalten. Wie stark die Situation an die Substanz der jungen Heldin geht, wird den jungen Leserinnen und Lesern in der ganzen Tragweite deutlich gemacht. Es kann auch als ein Appell an die jungen Menschen verstanden werden, sich nicht mit einer fiktiven Identität in eine unangenehme Situation bringen zu können.
Übers Ziel hinaus
Der Roman liest sich spannend und unterhaltsam. Doch da und dort schießt die Autorin übers Ziel hinaus. Nach der wiederholten Betonung, dass Bücher für „Young Adult“ von Erwachsenen eben nicht richtig eingeordnet werden könnten und nur die jungen Bloggerinnen und Blogger in der Lage wären, hier eine vernünftige Rezension zu liefern, wirkt das Ganze etwas unreif-trotzig. Die starke Fixierung Halles auf ihre Cupcakes, mit denen sie letztlich mehr Aufmerksamkeit zu generieren scheint als mit ihrer Arbeit als Buchbloggerin, ist ein weiterer Punkt, der zum Gefühl verleitet, man habe das nun wirklich schon mehrfach gelesen. So sind es einige Bereiche, die dem wirklich starken Grundplot etwas das Leben schwer machen.
Fazit
Mit dem Thema trifft Marisa Kanter ins Schwarze. Beim Ausschmücken des Romans greift sie dann aber etwas zu tief in die Klischee-Kiste und wertet die überzeugende Grundlage leider etwas ab. Dennoch ist der Roman unterhaltsam und lesenswert.
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