Etwas weniger Nebel hätte es auch getan…
Die beiden Schwestern Alice und Jessa wuchsen nach dem Tod ihrer Eltern im Kinderheim auf und verschworen sich gegen den Rest der Welt. Aber dann reiste Alice nach Yorkshire, um dort für ihr Studium etwas zu recherchieren. Keine große Sache, aber Alice kam nie zurück und so wie es hieß, war sie allein ins Moor gegangen und dort ertrunken. Jetzt aber erhält Jessa plötzlich eine Nachricht von Alice, die in einem Buch in einer alten Bibliothek gefunden wurde und in der ein Gut namens „High Moor Grange“ eine wichtige Rolle spielt. Besteht also doch die Möglichkeit, Alices Verschwinden nach der ganzen Zeit noch aufzuklären? Jessa reist nach Yorkshire und sieht sich hier einer Mauer des Schweigens gegenüber. Die beiden eigenartigen Brüder Christopher und Adrian, die sich so feindselig und abwehrend verhalten, wollen sie nur schnell loswerden, sogar Beschäftigte aus dem Gut spionieren ihr offen hinterher. Welches Geheimnis umgibt das alte Herrenhaus und wie erklärt sich das rätselhafte Verschwinden ihrer Schwester?
In märchenhafter Kulisse
Wer die neueste Veröffentlichung von Kathrin Lange in die Hand nimmt, ist zuallererst von der tollen Aufmachung begeistert, die der Arena-Verlag hier gezaubert hat: Eine nebelverhangene Landschaft mit vereinzelten Rosen, flatternden Vögeln, im Hintergrund ein Herrenhaus und in der Mitte der namengebende Nebel; alles ist im peppigen Türkis gehalten und strahlt somit eine ganz andere Frische aus, als unser ganz normaler Novembernebel. Schnell ist damit jedem klar, dass dieses Buch etwas Märchenhaftes mit sich bringt.
Tatsächlich trifft dieser Eindruck auch zu. Kathrin Lange erzählt die Geschichte von den beiden Brüdern Adrian und Christopher, die abgeschieden in einem verfallenen Herrenhaus leben. Sie verbindet ein besonderes Schicksal miteinander, wurden sie doch von einem Fluch getroffen. Ehe es unserer Heldin Jessa aber gelingt, überhaupt auch nur die wichtigsten Fakten über diesen Fluch herauszufinden, da braucht der Leser einiges an Geduld. Immer wieder werden ein paar Bröckchen in die Handlung gestreut, ehe dann wieder ein anderer Erzählstrang aufgenommen wird und die Lösung wieder auf die lange Bank geschoben wird – hier hätte ich mir manchmal schon ein bisschen mehr Tempo gewünscht. Eigenartig ist auch, dass der über die beiden Brüder ausgesprochene Fluch offensichtlich sehr kompliziert war und sehr viele Übel beinhaltete. Scheinbar hatte der Fluchende sehr viel Zeit und hatte sich die ganze Sache sehr gut überlegt, um möglichst viel Schaden anzurichten.
Neben dieser Dramatik des schweren Schicksals beschreibt Lange aber auch schön und witzig, wie sich die beiden romantischen Brüder dann doch ein bisschen untypisch für moderne Dinge des Lebens interessieren. Man könnte ja schon erwarten, dass wer abgeschieden in einem alten Herrenhaus aufwächst, sich in erster Linie für klassische Musik und rassige Pferde interessiert. Schön ist aber zu lesen, dass Christopher lieber mit einer Enduro über das Moor brettert und Adrian gerne zu Judas Priest headbangt.
Mich störte allerdings manchmal, dass Jessa um jeden Preis als hartes „Straßenmädchen“ dargestellt wurde. So soll sie nach dem Willen der Autorin mehrere Wochen mit einer Gruppe von Punks umhergezogen und als ganz „Harte“ hat sie neben „Sturmhöhe“ von Emily Bronte auch immer ihr zweites Lieblingsbuch „American Psycho“ dabei. Letzteres kann man getrost als so zynisch, grausam und brutal bezeichnen, dass die Werke von Stephen King dagegen wie freundliche und heitere kleine Kätzchengeschichten anmuten. Diese aufgesetzte Härte kauft man der Heldin aber nicht ab, auch wenn Kathrin Lange nicht müde wird, diese Eigenschaft zu betonen.
Fazit
Kathrin Lange hat ein schönes und solides romantisches, modernes Märchen über Liebe erzählt, die alle Abgründe überwindet und auch die noch so Verzweifelten retten kann. Ein bisschen ist sie dabei aber schon über das Ziel hinaus geschossen. Eine derartige Menge von Flüchen und Verstrickungen hätte schon fast für eine Fußballmannschaft ausgereicht und auch die ständigen Überlegungen, wer in wen verliebt sein könnte und in wen nicht, die hätten etwas weniger diskutiert werden können. Schließlich und endlich ist die Liebe – wie es immer so schön heißt – eine Himmelsmacht. Herbeireden kann sie keiner und das erst recht nicht, wenn sie auch noch einen Fluch brechen soll.
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