Experimentell, originell und zu Herzen gehend
Während Will zur Schule, zu seinem Job im Ein-Dollar-Laden oder einfach die Straßen seiner Heimatstadt abgeht, hat er stets die Augen offen, wobei ihm die Menschen auffallen, die zu einem Teil seiner Gedanken und seines Lebens werden. Zu Hause versucht er das Maisbrot seines verstorbenen Vaters nachzubacken, der ihm nicht das Rezept dafür hinterlassen hat. Beides, das Laufen und das Backen, bieten Will die nötigen Gelegenheiten das Geschehene zu verarbeiten und seinen weiteren Weg zu finden.
“Though I’m past one hundred thousand miles I’m feeling very still and I think my spaceship knows which way to go.” - (David Bowie - Space Oddity)
“Musik ist die Zuflucht der Einsamen”, sagte Wills Vater oft und Einsamkeit in all ihren Formen begegnet Will auf seinem Weg. Da ist der alleinstehende Besitzer des Ein-Dollar-Ladens, dem Will immer wieder sehr einfühlsam den Tag versüßt. Und der kleine Junge, der gerne Schmetterlinge betrachtet, den Wills kleine Geschenke an Magie glauben lassen. Seine Mutter, mit der er liebevolle Notizen austauscht, und Playa, seine beste Freundin, der Gewalt angetan wurde und für die er erst einen neuen Weg der Nähe finden muss. Dazwischen probiert er immer weiter das Maisbrot zu backen, das Erinnerungen hervorbringen soll – und Trost.
Erstaunlich, einzigartig und voller Gefühl
Alison McGhee hat mit Wie man eine Raumkapsel verlässt ein leicht zugängliches, berührendes und besonders stimmungsvolles Buch geschrieben. Wills leise Geschichte spricht Themen wie Selbstmord, Missbrauch, Trauer und Einsamkeit auf eine sehr poetische Weise an, sodass ohne direktes Drama und Leid, tiefgehende Emotionen auf eine einzigartige Weise vermittelt werden.
Im amerikanischen Original hat sich Alison McGhee zum Ziel gesetzt Wills Reise in 100 Kapiteln mit je 100 Worten zu beschreiben. Absolut grandios und mit viel Können hat dies auch die Übersetzerin Birgit Kollmann ins Deutsche übertragen können. Diese gewollte Einschränkung im Umfang führt zu einer wunderbar lesbaren, aufs Wesentliche konzentrierten lyrischen Geschichte. Jedes der 100 Kapitel beginnt mit einer Kalligrafie der chinesischen Zahlen 1 - 100, in Anlehnung an das chinesische Geschäft mit 100 Segenswünschen, welches Will und sein Vater im Roman oft zusammen besuchten und den 100 Cent, aus denen ein Dollar besteht.
Bei aller Episodenhaftigkeit gelingt es sehr gut, die Verarbeitung des Verlustes seines Vaters sowie Wills unglaubliches Einfühlungsvermögen zu schildern, trotz des Leids, das seiner Freundin Playa angetan wurde. Wills gutmütiges und ruhiges Wesen, seine Freundlichkeit und Zugänglichkeit machen ihn zu einem Protagonisten, der den Lesern schnell ans Herz wachsen kann. Kurz und präzise kann diese Geschichte auch diejenigen fesseln, die keine Geduld für längeres haben, aber doch auch anspruchsvolle und bedeutsame Literatur zu schätzen wissen.
Fazit
Wie man eine Raumkapsel verlässt ist in seiner strukturierten Kürze absolut packend und berührend. Die einzigartige Art des Schreibens erstaunt und Will als Protagonist ist eine so besondere Figur, dass sie einem lange im Gedächtnis bleiben wird.
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