Pistolen und Pornografie
Betty Dawsey ist es leid: Ihr Verlobter Thom ist zwar eigentlich ein Netter, aber so schrecklich langweilig. Betty packt also ihre Siebensachen und als sie damit fast fertig ist, da fliegt die Bude in die Luft. Sie fliegt nicht im übertragenen Sinne in die Luft, sondern tatsächlich und da das jetzt nicht zu einem landläufigen Umzug gehört, ist das ein Aspekt, den sie bei der Trennung von einem Versicherungsgutachter sicher nicht erwartet hätte. Denkbar wäre so etwas natürlich, wenn sie mit einem Geheimagenten liiert wäre und seine Gegenspieler nach bester James-Bond-Manier zu einem Schlag ausgeholt hätte. Aber Thom, der alte Langweiler mit dem fantasielosen Sex, wäre doch bestimmt nie… oder etwa doch? Betti lernt ihren Verlobten plötzlich ganz neu kennen…
Steile Vorlage, aber nicht überzeugend
Kylie Scott folgt in ihrem neuen Roman um die süßen, kleinen Lügen dem Muster nach den „True Lies“, wo Arnold Schwarzenegger als angeblicher Versicherungsvertreter dann doch einem abenteuerlichen Beruf nachging und damit seine Ehefrau überraschte. In diesem Film ging die witzige Geschichte um die ahnungslose Gattin und den Ehemann im „Actiongewerbe“ durchaus auf, hier gelingt das – um es kurz zu machen – nicht. Möglicherweise liegt das u.a. an der hanebüchenen Geschichte, bei der sich mir bis zum Schluss nicht so recht erschloss, aus welchem Grund die eine Gruppe („die Bösen“) unbedingt der anderen („den Guten“) ans Leder wollte. Vermutlich sollte es auch eine lustige Idee sein, dass sich die Codebezeichnungen der einzelnen Agenten offensichtlich an den Raubtiergehegen oder Terrarien des örtlichen Zoos bedienten. So waren Bear, Wolf, Fox, Scorpion und Badger in nerviger Artenvielfalt vertreten, andere Tierarten wie Stinktier oder Ochsenfrosch wurden dagegen wieder diskriminiert und blieben außen vor.
Nicht überzeugen konnte mich auch die Liebesgeschichte: Die hier als Ich-Erzählerin berichtende recht sympathische – und im Übrigen auch recht „normale“ -– Floristin Betty erkennt schließlich und endlich, dass „eine Beziehung nicht nur daraus besteht, dass man seine Kleider neben die des anderen in den Schrank hängt“ und beschließt ihren persönlichen Status von „vergeben“ auf „wieder Single“ zu ändern. Mit einem großen Knall ereignet sich die Explosion, sie erfährt über den wahren Job ihres „Verlobten“ und schon überschüttet dieser sie endlich mit all‘ den Liebesschwüren, die er sich vorher immer verkniffen hatte, damit er als „Normalo“ und nicht als Superagent durchging. Zu seiner Tarnung gehörte dann offensichtlich auch, dass die normale „Fallzahl“ eines durchschnittlichen Paares mit äußerst mäßigem Sex nicht überschritten werden durfte und sich somit die Ereignisse in der Horizontalen im Gradbereich eines kühlen Herbsttages abspielten.
"Ein durchschnittliches zusammenlebendes Paar hat ungefähr einundfünfzig Mal im Jahr Sex. Wenn wir die Zeit abziehen, die ich berufsbedingt abwesend war, sind wir auf den Durchschnittswert gekommen.“
Natürlich kann der bisher so langweilige Verlobte jetzt so richtig vom Leder ziehen, denn wenn ja sowieso alles aufgeflogen ist, dann kann man ja auch mal so richtig und so kommt der Leser in den Genuss, alles Versäumte in epischer Breite mitlesen zu dürfen. Betti durchläuft dann auch eine rasante Wandlung von der friedliebenden Floristin zur allzeit bereiten Aushilfsagentin und was hier dann noch als „Sweet Little Lies“ aufgetischt wird, hat weder mit „sweet“ noch mit „little“ irgendetwas zu tun.
Fazit
Eine hanebüchene Geschichte wird durch detaillierte Sexszenen nicht besser und aus einer netten Normalo-Frau wird nicht mit einem „Crashkurs“ eine jederzeit schussbereite, gewaltbereite Superagentin. Wer so etwas mag – alles was irgendwie hilft, den Lockdown zu überwinden, erfüllt ja nun eine Mission, wenn auch sicherlich keine „geheime“.
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