Ein bisschen zu steril
Wenn die 15jährige Schilo ausgeht, dann kann sie nicht einfach vor sich hinbummeln oder eine Weg nutzen, der ihr gerade richtig gefällt. Sie muss vorher schon entscheiden, wie sie zu ihrem Ziel kommen will. Der Grund: In „Cleanland“ wird immer und überall auf den nötigen Abstand geachtet – wer joggen will, reserviert im Vorfeld eine Strecke, wer im Klub tanzen geht, seinen Tanzbereich. Ständig wird die Gesundheit überwacht, wer möglicherweise gefährdet ist, landet im „Saferoom“ oder im „Raum der Einsicht“ und verbringt hier sein Leben wie in einem Terrarium. Schilo weiß nicht mehr, wann sie ihre Oma zuletzt in den Arm genommen hat. Grundsätzlich ist das auch alles okay für sie, denn es ist wichtig, dass die Gesundheit nicht gefährdet wird. Aber dann muss Schilo erkennen, dass diese aufgezwungene Ordnung mit Druck und Gewalt durchgesetzt werden kann und plötzlich stellt sie alles, was bisher selbstverständlich war, in Frage.
Martin Schäuble zeichnet in seinem neuen kritischen Roman Cleanland eine Gesellschaft, die sich in erster Linie darauf beschränkt, die Gesundheit ihrer Bürger zu schützen. Alles was gesundheitsschädlich, ansteckend oder – gottbewahre – krebserregend sein könnte, wurde eliminiert. Die glücklichen Bewohner dürfen sich auf ein langes, steriles Leben freuen und sterben möglicherweise allenfalls an Langeweile – oder Einsamkeit. Schilo, die hier als Ich-Erzählerin berichtet, kennt dieses Leben nicht anders und erzählt emotionslos von ihren täglichen Einschränkungen, die sie nicht mehr als solche empfindet und von der Isolationshaft ihrer Oma, die sie auch nicht als solche erkennt.
Erst als die Familie ihrer besten Freundin mit dem alles überwachenden Regime in Konflikt gerät, beginnt die Heldin zu realisieren, dass offensichtlich nicht jeder bereit ist, alles unter dem Joch der Hygiene zu beugen und jeden körperlichen Kontakt, jeden Zuneigungsbeweis zurückzuhalten. Shilos Entwicklung ist hier ruhig und nachvollziehbar aufgebaut, ebenso wie sich langsam ihre Zweifel an der bisher als unfehlbar beschriebenen Mutter verstärken. Für meinen Geschmack hätte sich der Autor allerdings einige der Werbesprüche, die permanent aufgezählt werden, um gesunde Wege zu einer gesunden Zukunft zu finden – und damit auch gleichzeitig die dazu hilfreichen Waren bewerben -– sparen können. Besonders gut ist dagegen dargestellt, wie kurz der Weg von einem Machtgefüge, das nur das Beste für seine Bürger will, zu einem totalitären Staat mit willkürlichen Entscheidungen gegen Andersdenkende sein kann.
Ein weiterer Strang, der der Handlung beigefügt ist, ist die Romanze, die sich zwischen Schilo und Toko, einem jungen „Cleaner“ abspielt. „Cleaner“ verrichten niedere Tätigkeiten und sind damit beauftragt, in der Nacht, wenn alle Menschen in einem durch die Zugabe von Drogen verstärkten Schlaf weggedämmert sind, die Wohnungen zu desinfizieren. Hier kann die Geschichte nicht überzeugen. Martin Schäuble gelingt es nicht glaubhaft zu formulieren, aus welchem Grund sich Schilo plötzlich für diesen jungen Mann interessiert bzw. ob, wie und warum überhaupt eine Liebesgeschichte entsteht. Sicherlich – Toko war der Einzige, dem sie in der sterilen Umwelt näher kommen konnte, aber dennoch rechtfertigt das bloße „Weil-er-halt-da-ist“ sicher keine Liebesbeziehung.
Fazit
Schilos Reise war für mich spannend zu lesen, aber ein paar Fragezeichen blieben doch. So hätte ich doch gerne ein bisschen mehr über die Mutter der Heldin und ihre Rolle im alles überwachenden Ministerium erfahren, ich hätte gerne gewusst, warum offensichtlich nicht alle Teile der Familie in Cleanland glücklich waren und generell wäre es mir lieber gewesen, ein paar weniger Werbesprüche dafür aber mehr über die Motive der agierenden Personen zu lesen. Einiges blieb damit doch ein wenig zu flach und war die Geschichte mitsamt ihrer Helden zwar grundsätzlich spannend, aber auch ein wenig zu steril.
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