Geschichte einer beeindruckenden Auferstehung
Dominik Bloh sagt über sich: „Ich hatte immer die Wahl.“ Das dürfte aber Ansichtssache sein. Ein Junge, der über viele Talente verfügt und dem die Erwachsenen verbieten, diese Talente auszuleben, die ihn verprügeln, demütigen, ihm nichts zu essen geben und ihn auf die Straße setzen, lassen ihm keine große Wahl. Fast zwangsläufig folgt ein Weg in die Kriminalität, in Drogenmissbrauch und -handel, zu falschen Freunden, falschen Entscheidungen und insbesondere in die Obdachlosigkeit. Dominik Bloh ist ein Teenager, als ihn seine psychisch kranke Mutter ohne einen Pfennig auf die Straße setzt. Ab da schlägt er sich alleine durch, überlebt kalte Winter, heiße Sommer, wird angegriffen und angespuckt. Dennoch schafft er es, sich aus dem Teufelskreis Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit zu lösen und seinen eigenen Weg zu gehen.
“Sie verbietet mir das Fußballspielen und meldet mich beim Verein ab… Mein Traum? Vorbei.“
Der mittlerweile 33jährige Hamburger Dominik Bloh verbrachte mehr als die Hälfte seines Lebens auf der Straße. In einem Alter, in dem sich die meisten über Clubs, Ausgehen und Gaming Gedanken machen, muss er kalkulieren, wie er ohne Erfrierungen durch die Nacht kommt, wo er einen halbwegs sicheren Schlafplatz bekommt und wie er das so regeln kann, dass ihm das idealerweise niemand ansieht. Bloh hat jahrelang den Spagat geschafft: Einerseits besuchte er die Schule und schloss mit dem Abitur ab, andererseits hat er die Nächte vor dem Schulbesuch in irgendeiner Ecke auf der Straße verbracht.
Bestürzend ist dabei insbesondere, dass der Autor nicht nur von seiner Mutter und seinem Stiefvater im Stich gelassen wurde – wenn sicherlich auch die Mutter gesundheitlich belastet ist –, sondern auch seitens der Behörden so gut wie keine oder allenfalls nachlässige Hilfe erfuhr. Familiär wurde er allenfalls von den geliebten Großeltern unterstützt und auch hier wusste die Mutter wiederum, diese Beziehung zu hintertreiben. Nach diesen ganzen Erfahrungen beeindruckt mich besonders, dass Blohs Buch dennoch keine wütende Anklage ist. Er berichtet vielmehr so gelassen aus seinem Leben, als wäre er nur ein Erzähler, der die Handlung beobachtet hat, nur selten zeigt der Autor wie stark ihn die Erfahrungen und die Schrecken seiner Kindheit tatsächlich geformt haben und wie schon der Teenager Bloh meinte, sich von einem Kind absetzen zu müssen:
“Meine Mutter schickt mich zu meinem Stiefvater. Die größtmögliche Strafe… Es ist der Blick, der mich selbst mit 15 Jahren genauso ängstlich macht, wie als Kind...“
Dominik Bloh erschafft für den Leser eine neue Perspektive für das Leben auf der Straße. Hier wird nichts romantisiert, nichts von der besonderen Bruderschaft geschwafelt. Der Autor weiß, wovon er redet und es ist auch eine besondere Leistung, dass sich sein Bericht nicht in 1000 Anekdötchen und Geschichten verliert, sondern oft gehetzt und wie auf der Flucht, aber dafür umso einprägsamer von seinem Überlebenskampf erzählt.
Bloh spricht auch ohne Umschweife und Beschönigungen von seinen Fehltritten: Die geklaute Tageskasse eines Konzerts und insbesondere seine Drogengeschäfte auf der Straße. Beeindruckend auch hier, wie der erwachsene Autor die Verantwortung für die Taten eines Jugendlichen übernimmt. Ich vermute, dass der Leser wesentlich weniger streng über sein Vorleben denkt als er selbst. Mir gefiel auch gut, dass Bloh aus seiner alten Perspektive aufzeigt, womit man einem Obdachlosen auf der Straße einmal eine andere Freude als ein paar Münzen im Kaffeebecher machen kann: Das Wasser an einem heißen Tag oder vielleicht einfach mal ein paar Kugeln Eis, die sonst zu den eher unüblichen Genüssen zählen. Vielleicht hat er damit dazu beigetragen, dass auch denen, die seinen Sprung nicht geschafft haben, das Leben ein bisschen freundlicher gemacht wird.
Fazit
Dominik Bloh zeigt mit dem schmalen Band Unter Palmen aus Stahl die bewegende Geschichte eines Survivors. Er hat es mit Mut, Stärke und Offenheit letztendlich geschafft, sich aus dem Teufelskreis von Wohnungs-, Arbeits- und Perspektivlosigkeit herauszuarbeiten. Sicher wird sein Weg immer ein wenig anders, vielleicht ein bisschen steiniger und holpriger sein, als der von „Normalos“, er verdient aber insbesondere die Hochachtung des Lesers diesen Weg dennoch ohne zornigen Rückblick bewältigt zu haben.
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