Romantische Geschichte – mit ein paar Kratzern
In Livs Leben geht es gerade drunter und drüber: Ihr Freund hat Schluss gemacht und sie gleichzeitig aufgefordert, „asap“ aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen; das Studentenjournal, für das sie schreibt, will eine Story und setzt ihr die Pistole auf die Brust; und da sind noch die ganzen Altlasten, die unerledigt auf ihrer Seele liegen: Immer noch bedrückt sie der Unfalltod ihres Bruders und die damit verbundene plötzliche Funkstille zu ihrem alten, besten Freund Noah.
Jetzt endlich scheint es das Schicksal einmal halbwegs gut mit ihr zu meinen: Durch einen puren Zufall lernt sie Tilda und Bryoni kennen, die für ihre WG eine neue Mitbewohnerin suchen. Die letzte ist nämlich dem Herzensbrecher-Charme des einzigen männlichen Mitbewohners erlegen, musste aber schockiert feststellen, dass der von Treue und Verlässlichkeit überhaupt nichts hält. Liv betrachtet sich grundsätzlich gegenüber solchen Typen als immun an, könnte ihn sogar als interessantes Versuchsobjekt für einen Artikel „verwerten“ und dann… dann steht ihr alter, bester Freund vor ihr. Noah – der sensible, nette Noah und jetzt ist er nur noch ein Aufreißer.
Ich möchte hier einmal direkt zur Sprache bringen, was mich an dem Roman am meisten gestört hat. Früher wurde eine junge Frau, die vergnügt durch die Beziehungen und die damit verbundenen Lagerstätten hüpfte, pauschal mit diversen Begriffen belegt, die ich nicht wiedergeben möchte. Machte das ein Mann, dann probierte er sich selber aus oder stieß sich ein bisschen die Hörner ab. Dann kamen verschiedene Bewegungen und ist heute eine junge Frau „viel unterwegs“, dann ist sie – allenfalls – sexuell aktiv und alles andere ist vollkommen normal. Das ist gut so. Wenn ich aber dann Nena Tramountani und ihren Heldinnen glauben darf, dann ist ein junger Mann, der heute so ähnlich aufgestellt ist, ein – Achtung Zitat – „Fuckboy“ und diese Abwertung verstehe ich nicht. Wenn jeder seine sexuelle Erfüllung in egal wie vielen Partnern sieht, dann muss dieses Recht gleichberechtigt für alle gelten.
Als ein solcher „Fuckboy“ wird also Livs ehemals bester Freund Noah bezeichnet und über die Bekehrung eines solchen soll die Heldin dann auch gleich in ihrem Studentenblättchen berichten. Natürlich kann man sich dann auch fragen, wie respektvoll eine Freundschaft ist, wenn die eine im Stillen so über den anderen denkt.
Gut gemachter Auftakt der Soho-Love-Reihe
Sieht man von diesem Ungleichverhalten ab, entwickelt Nena Tramountani routiniert den Auftakt ihrer in London spielenden „Soho Love“-Reihe. Jeder der drei Bände ist dabei einer eigenen Hauptperson und ihrem Lebens- oder Liebesweg gewidmet und hat ein geschlossenes Ende. Für diejenigen, die neu einsteigen, ist es einfach in die Geschichte einzutauchen und für diejenigen, die länger dabei sind, ist es natürlich schön, wieder von den vertrauten und ans Herz gewachsenen Personen zu lesen.
Gut gefielen mir insbesondere die Passagen, die allein zwischen den Mädchen spielen, denn die hier alsbald entstehende „Frauen-Power“ war schön und stimmig beschrieben. Als ein bisschen kantig fand ich dagegen die Beziehung zu dem „Bad Boy“ Noah. Er mimt zwar den coolen aber oberflächlichen Aufreißer, soll es aber offensichtlich gar nicht sein, sodass er regelmäßig wie ein kleiner Junge mit zitternder Stimme – aber mit permanent sexy verwuschelten Haaren – vor der Ich-Erzählerin steht. Wie ein so schlechter Schauspieler vor seinen Mitstudentinnen als „Bad Boy“ durchgehen konnte, ist mir vollkommen unerklärlich. Eine Frage, die sich bei mir auch mehrfach stellte, war die nach den vielen Tätowierungen, die Noah jetzt auch schon in seinem zarten Alter aufweist. Das zumindest legte bei mir den Schluss nahe, dass er sich offensichtlich die ersten schon mit elf oder zwölf Jahren hat stechen lassen und dass Mama und Papa vermutlich einen recht legeren Erziehungsstil pflegten.
“Draußen lief die Party auf Hochtouren. Drinnen brach mein Herz.“
Generell widmet sich dann ein großer Teil der „Bekehrung“ des „Aufreißers und Herzensbrechers“ und da er eigentlich keine dieser Rollen bekleidet, tritt sein Wandel dann auch schnell und ohne große Entwicklung ein. Was mir fehlte, war eine Aufarbeitung von Livs Geschichte, denn sie war die ganze Zeit so bemüht, ihren Noah zu „retten“, dass dabei die Fragen, wie Liv sich nach seinem plötzlichen Weggang und dem Kontaktabbruch gefühlt haben mag und welche Wunden diese Verletzungen möglicherweise bei ihr hinterlassen haben, vollkommen außer Acht gelassen wurden. Schön und berührend hat die Autorin aber auch geschrieben, wie es Livs Familie nach der Klärung der letzten Fragen zum Tod ihres Bruders Finn wieder versucht, nach vorne zu sehen und ihren Schmerz gemeinsam zu überwinden. Mir gefiel auch das Erwachsenwerden von Liv sehr gut, die ihren letzten Verlust nicht einfach mit Trotzreaktionen, viel Alkohol oder einfach dem Stürzen in eine neue Beziehung zu überwinden suchte.
Fazit
Nena Tramountani legt hier eine solide Basis für ihre dreibändige „Soho Love“-Reihe und macht die Leserin schon einmal mit allen Helden ihrer Bände bekannt. Dieser Band widmet sich insbesondere dem Wiederfinden von Liv und Noah und den Problemen, die immer dann entstehen, wenn sich eine Jugendfreundschaft, die durch dick und dünn gegangen ist, plötzlich und leise in eine Liebesbeziehung verändert.
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