Erwachsen werden zu beiden Seiten der deutsch-deutschen Mauer
Es ist Juni 1983 und Luisa und ihre Tante reisen mit dem Zug zu einem Familienfest. Dazu müssen sie eine Grenze passieren, die die Menschen auf beiden Seiten in Angst und Schrecken versetzt. Luisa wohnt mit ihren Eltern und einer Schwester ihrer Mutter in West-Berlin. Schon öfter haben sie in den Ferien die Ost-Verwandtschaft besucht. Diesmal will Luisa länger bleiben und ihre Eltern sind nicht mit dabei.
Die Staatssicherheit weiß natürlich über den Besuch Bescheid und ein geheimer Beobachter ist auch schon an Ort und Stelle, denn Teenager aus dem Westen könnten ganz schnell die einheimische Bevölkerung auf dumme Ideen bringen …
"ICH HABE VOR NIEMANDEM ANGST, ICH SAG, WAS ICH DENKE, UND ES KÜMMERT MICH NICHT."
Dass Ostdeutsche nicht überallhin in den Urlaub fahren können, oft noch kein Telefon haben und mitunter jahrelang auf eine sehr begrenzte Auswahl an Fahrzeugen warten müssen, weiß Luisa. Trotzdem fährt sie immer wieder gerne in das kleine Kaff Posenau. Ihre Verwandten sind liebevoll und sie genießt es, Zeit mit ihrer Großmutter zu verbringen.
Aber diesmal hat sich etwas verändert. Im Gegensatz zu all ihren Besuchen zuvor scheint sich ein Schleier über ihren Augen gelüftet zu haben. Ihr fallen all die ungesagten Dinge auf, die vielen auf den Lippen liegen und sie wird jetzt auch offen angefeindet: allein ihre Herkunft aus dem „kapitalistischen Westen“ wird von manchen mit Überheblichkeit und der konstant versuchten Verführung der „besseren“ Deutschen hin zur Flucht aus der DDR gleichgesetzt.
Doch Luisa ist nicht leise und sie versteckt sich nicht. Sie versucht ihren Sommer zu genießen, vor allem seitdem Uwe und seine Freunde ihr von deren Band erzählt haben.
Und den Traum, unbehelligt ihre Lieder singen zu können.
Leider hat die Stasi ihre Augen und Ohren überall …
Sehr eindrücklich und echt
Getrennte Familien, Fluchterlebnisse, Angst und Misstrauen sind nur einige der Probleme, die die innerdeutsche Grenze vor allem auf der östlichen Seite bereithielten. Durch das bewusste Erleben der 13-jährigen Luisa, und ihren direkten Vergleich mit ihren eigenen Erfahrungen, bekommt der Lesende in diesem Roman einen sehr praktischen und verständlichen Einblick in die Lebensverhältnisse der Deutschen zu beiden Seiten der Mauer in den 1980er Jahren.
Für viele bestand durch die Mauer der Missinformationen und der Verdrängung eine völlige Unkenntnis der Lebensverhältnisse auf der jeweils anderen Seite der Grenze. Jeder hat einmal etwas gehört, aber solange man keine wirklichen Erfahrungen gesammelt hatte, blieb ein Teil Deutschlands immer dunkel. Auch nach dem Mauerfall fehlte oft der Austausch und die heutigen Jugendlichen haben selten eine Ahnung davon, wie es war, in einem geteilten Land zu leben.
Und zwischen uns eine Mauer thematisiert vor allem das eingeschränkte Leben der Ostdeutschen und vermag dieses Gefühl der Überwachtheit und dem Auf-der Hut-sein sehr gut zu beschreiben. Vor allem die kleinen und großen Risse innerhalb von Familien werden überzeugend getroffen. Das Buch thematisiert somit auch die unterschiedlichen Sichtpunkte und manchmal auch die Not dahinter.
Uwe und seine Freunde leiden unter der Begrenztheit ihrer Welt und versuchen sich einen eigenen Raum zu schaffen, der immer wieder aufgebrochen wird und somit nie die Möglichkeit zulässt, sich frei auszudrücken. Luisa auf der anderen Seite kann bis zum Schluss diese Grenze nicht ganz verstehen. Diese Divergenz vermag Suza Kolb sehr gut einzufangen und sie zeichnet ein sehr fassbares und plausibles Bild der damaligen Zustände.
Fazit
Rebellieren und Gegebenes hinterfragen gehören zum Erwachsen werden, genauso wie die erste Liebe. Suza Kolb beschreibt in ihrem historischen Jugendbuch sehr eindrücklich, wie es sich anfühlte, Mauern durchbrechen zu wollen, die in den Köpfen von Menschen und zwischen Familien wuchsen. Und zwischen uns eine Mauer arbeitet ein Stück deutscher Geschichte auf und zeigt den Jugendlichen von heute eine Unterdrückung in einem Teil Deutschlands, die immer noch Auswirkungen auf das Heute hat.
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