Vom Fußballplatz in den „heiligen Krieg“ – der Verlust der Jugend
An dem Tag, an dem Kadir bei dem wichtigen Spiel fehlte, bezog seine Mannschaft, die bis dahin vom Aufstieg geträumt hatte, eine richtige „Klatsche“. Niemand hätte damit gerechnet, dass Kadir fehlte, weil er beschlossen hatte, in den Krieg zu ziehen. Sein Traum war nicht mehr der vom Aufstieg oder von einer Karriere als Fußballer. Er träumte davon, im offenen Pickup durch die Wüste zu donnern, das Gewehr zu schwenken und als Held bejubelt zu werden. Kadir suchte den Krieg – und unglücklicherweise fand er ihn auch. Als er zurückkehrte, war von dem unbeschwerten Jungen nicht mehr viel übrig.
„Kadir ist Dschihad“
Das Autorenduo Benno Köpfer und Peter Mathews beschreiben in ihrem Roman Kadir, der Krieg und die Katze des Propheten wie ein junger Mann, der bisher von Fußball, von der Playstation und von den neuesten Sneakers und Caps begeistert war, von den Anwerbern des Islamischen Staates eingefangen wird. Es beginnt mit ein paar harmlosen Einladungen zum „Kulturverein“, mit dem Gefühl in einer „Männergesellschaft“ unter „Brüdern“ gut aufgehoben und sicher zu sein und endet mit dem Gefühl des „Auserwähltseins“ und dem zu einer Elite zu gehören.
Kadir ist den Anwerbern auf den Leim gegangen und träumt davon, dass ihm ein „Kafir-Ungläubiger“ jeden Tag seinen Toyota-Pick-up auf Hochglanz wienert. Natürlich können alle Fragen, die er stellt, vom Koran beantwortet werden und natürlich sehen sich alle, die diese Fragen so beantworten, gnadenlos im Recht und endlich einmal als die Elite einer Glaubensgemeinschaft. Es ist nur die logische Folge, dass der 16jährige beschließt, seinen Worten und seinem Glauben Taten folgen zu lassen und diesen Weg schildern die beiden Autoren beeindruckend, spannend und wertungsfrei.
Erzählt wird die Geschichte vom Verlust der Unschuld und der Unbeschwertheit von zwei Protagonisten. Mark, Kadirs bester Freund, der als Ich-Erzähler auftritt und natürlich von Kadir, über den aber in der dritten Person berichtet wird. Mark, der über seinen Freund viele Berührungspunkte mit dessen türkischer Familie und auch mit deren Sitten und Gebräuchen vertraut war, versucht, einerseits den Spuren des Verschwundenen zu folgen und andererseits dessen Entscheidungen zu verstehen. Seine Berichte bilden den Rahmen um die Erlebnisse, die Kadir seit seinem heimlichen Weggang von Hamburg und seiner Familie erlebte, bis zur Rückkehr des veränderten und gebrochenen Freundes.
Allein dieser Bereich ist spannend und interessant geschildert, wenn ich zu Anfang auch erst ein wenig Zeit brauchte, um mich für die Personen zu erwärmen. Spätestens aber, wenn von Kadirs „Abenteuern“ im Krieg erzählt wird, nimmt der Roman eine Spannungskurve auf, die es mir kaum mehr möglich machte, das Buch aus der Hand zu legen. Köpfer und Mathews lassen ihren Helden langsam seine Unschuld verlieren. An der eigentlichen Botschaft, dass der Koran und seine verherrlichten Kämpfer immer Recht haben, scheint er niemals zu zweifeln, aber er sieht deren Taten, die mit einer menschlichen oder gar mitfühlenden Religion nichts mehr gemeinsam haben.
Nüchtern und sachlich berichten die beiden Autoren von den Schrecken der Hinrichtungen, von Kindern, die wegen ihrer Religion in Bordelle gezwungen und immer und immer wieder vergewaltigt werden und von dem Glauben, dass das alles vom Koran gedeckt werde. Natürlich ist unausweichlich, dass derjenige, der nicht jeden Funken an Humanität verloren hat, in einen tiefen Konflikt stürzen muss. Unausweichlich ist aber auch, dass Familien, die eines ihrer Kinder vermissen und hier auf die Hilfe der Polizei hoffen, feststellen müssen, dass sie sich anschließend wie „Verräter“ fühlen.
Fazit
Benno Köpfer und Peter Mathews haben ein beeindruckendes und dennoch spannendes Buch über die Rekrutierung der Kinder-Soldaten des Islamischen Staates verfasst. Ihr Held – ein normaler Jugendlicher mit mehr oder weniger normalen Träumen und Wünschen – wird in eine Welt gezogen, die verblendete Fundamentalisten geschickt so mit Gold und befremdlichen Auslegungen überzogen haben, dass sie tatsächlich wie das erstrebenswerte Paradies wirkt. Aber ein Paradies, das nur über Lachen von Blut und durch Feuer erreicht werden kann, ist kein göttlicher Ort, sondern eine Hölle, geprägt von Überheblichkeit, Brutalität und Gewalt. Was von großen Träumen von Heldentum und Macht bleibt, ist am Ende Ratlosigkeit und viele Leben, die zerstört und in den Staub getreten werden, und eine Zukunft, die tatsächlich keine Perspektive mehr bietet.
Peter Mathews, Benno Köpfer, dtv
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