Eine Geschichte zweier Welten
Fünf Jahre sind vergangen, seit eine kleine Meerjungfrau einen teuflischen Handel mit einer mächtigen Meerhexe abschloss und ihre Stimme verlor, um in der Welt der Menschen leben und die Liebe eines Prinzen gewinnen zu können. Doch die Hexe verfolgte damit eigentlich ganz andere Pläne: nämlich Rache zu üben am Vater der Meerjungfrau, dem König der Meere, und sich dessen mächtigen Dreizack unter den Tentakel zu reißen. Zum Glück konnte die Hexe in letzter Sekunde vernichtet werden. Doch was, wenn alles ganz anders gekommen wäre? Was wenn … die Hexe gewonnen hätte?
Fünf Jahre sind vergangen, seit Triton versuchte, Ursula zu bezwingen – und den Kampf verlor. Nun herrscht Arielle, immer noch stumm, an seiner Statt über Atlantica, das Reich im Meer. Ursula hingegen, die sich in die schöne Prinzessin Vanessa verwandelte und Prinz Eric verhexte, um zu verhindern, dass Arielle den Handel erfüllen und innerhalb von drei Tagen den Kuss wahrer Liebe erfahren würde, ist im Reich der Menschen geblieben, um dort zu herrschen. Der Prinz und die Bewohner des Reiches an Land stehen nach wie vor unter ihrem Zauber; sie haben vergessen, was damals geschah und von wem sie nun tatsächlich regiert werden. Doch dieser Zauber hält nur an, weil Ursula ihn im Meer gesprochen hatte – neue Magie kann sie an Land nicht wirken. Deshalb betreibt sie eine kriegerische Expansionspolitik, um ihren Einflussbereich zu vergrößern. Doch das reicht ihr immer noch nicht, und so schmiedet sie üble Pläne, um zu nie gekannter Macht aufzusteigen.
Dann soll sich alles verändern: Von ihrem alten Freund Scuttle, der Möwe, und seiner Urenkelin Jona erhält Arielle einen Tipp, dass ihr Vater den damaligen Kampf überlebt haben könnte und dass Ursula ihn, verwandelt in einen Polypen, als Pfand irgendwo versteckt hält. Vielleicht bietet sich Arielle jetzt eine einmalige Chance, Ursulas Pläne zu durchkreuzen, ihre Stimme zurückzugewinnen, ihren Vater zu befreien – und es vielleicht sogar noch einmal mit Eric zu versuchen. Also macht sich die kleine Meerjungfrau nach all den Jahren zum ersten Mal wieder an Land …
„Das Meer vergisst nicht“
Auch in dieser Ausgabe der „Twisted Tales“ wird wieder eine Alternativgeschichte zu einem beliebten Disney-Klassiker erzählt – diesmal handelt es sich eher um eine Fortsetzung von Arielle, die Meerjungfrau. Leider ist die Story ein wenig überfrachtet geraten, und vor allem der Einstieg gerät holprig. Der Anschluss an den Originalfilm funktioniert nämlich nicht nahtlos: Einen direkten Kampf zwischen Ursula und Triton hat es damals nicht gegeben, und vor allem fällt es schwer zu akzeptieren, dass die Meerhexe, die sich damals hauptsächlich an Triton für ihre Verbannung aus Atlantica rächen und über die Weltmeere herrschen wollte, sich nun freiwillig entschließt, an Land zu bleiben, dort ihre fiesen Machenschaften weiterzutreiben und ihre Gegnerin Arielle unten im Meer mitsamt ihres Vaters Dreizack schalten und walten zu lassen. Zumindest bietet diese Konstellation aber eine spannende Ausgangslage für ein sich stetig steigerndes Intrigenspiel.
„Es stimmt, meine Liebe, ein Preis muss immer gezahlt werden. Aber nicht an mich, sondern an das Universum“
Bei Ursula handelt es sich wohl nach wie vor um einen der unterhaltsamsten Disneyschurken, doch ihre selbstdarstellerische, ausladende Persönlichkeit genau zu treffen, ist schwierig. Auch Liz Braswell gelingt dies nicht immer. Dafür erfahren die anderen Figuren ein Upgrade: Arielle ist leicht verbittert, aber auch deutlich erwachsener geworden und hat nun wichtigere und interessantere Anliegen, als sich bloß einen Prinzen zu angeln. Auch Eric wurden mehr Nuancen verliehen und er darf (nachdem Ursulas Bann gebrochen wird) tatkräftig im Versuch, die Dinge wieder geradezurücken, mitwirken. Der Romanze zwischen Eric und Arielle wird so gestattet, sich noch einmal ganz neu – anders, frisch und vielschichtiger – zu entfalten, wobei sie dankbarerweise weniger im Mittelpunkt steht als die etwas eindimensionale Schwärmerei im Film. Auch alle bekannten Nebenfiguren wie Sebastian, Fabius, Grimsby oder Carlotta sind mit von der Partie und stimmig gezeichnet. Allerdings wäre auch hier weniger mehr gewesen: Die ein oder andere neue Figur hätte es nicht unbedingt gebraucht, und auch die Aale Abschaum und Meerschaum (die in der Story des Films eigentlich getötet wurden) in Menschengestalt als Spitzel durchs Schloss schleichen zu lassen, ist etwas zu viel des Guten.
Sehr lyrisch und lebendig ist aber vor allem Liz Braswells Worldbuilding: Sowohl die Unterwasserwelt Atlanticas als auch das Reich in der Trockenen Welt, das von Eric stellvertretend für seine Eltern regiert wird, sind mit viel Liebe zum Detail beschrieben. Zwar macht Tirulia (wie das ganze Reich an Land, welches Erics und „Vanessas“ Herrschaftssitz umfasst, hier genannt wird) eher einen mediterranen Eindruck anstatt wie im Film (passend zu Hans Christian Andersens Herkunft) einen skandinavischen, doch wirkt es authentisch und von einer Vielzahl verschiedenster Menschen bevölkert. Zudem erfährt man eine Menge über die Beziehung zwischen den Menschen und den Meeresbewohnern. Auch diese erhalten mehr Hintergrund, denn es werden Querverbindungen zu bekannten Mythen und Legenden sowie uralten Mächten und Göttern angedeutet (die im überraschend blutigen Finale eine Rolle spielen). Diese Anspielungen hätten leicht eine eigene Geschichte abgeben können, doch Braswell hat sich zum Glück dazu entschlossen, dies nicht noch mehr ins Zentrum zu rücken, sondern sich auf ihre eigene Handlung zu konzentrieren. So entsteht bis zum bittersüßen Happy End letztendlich ein runder Gesamteindruck.
Fazit
Inmitten der Wasserwelt hat ein paar Schwachstellen, ist vielleicht einen Tick zu lang und passt nicht ganz so gut zum Originalfilm wie andere Teile der Reihe. Insgesamt bietet aber auch dieses Buch wieder ein spannendes Abenteuer im Disney-Universum – und bringt sogar noch die ein oder andere Message zum Umweltschutz unter. Für Fans der kleinen Meerjungfrau und ihrer Welt ein Muss!
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