Ausstieg aus der Opferrolle
Für die 17-jährige Tegan läufts im Moment nicht gut. So flüchtet sie nach einer Auseinandersetzung mit ihrer Mutter ins kleine Museum, für das sie hin und wieder jobbt. Dort will sie ausharren und ihre Mutter mit ihrer Abwesenheit „bestrafen“. Doch ausgerechnet an diesem Abend strandet noch jemand im kleinen Museum: Mac Durant. Der Junge, den Tegan mit ihrem Feindbild gleichsetzt. Denn Mac ist nicht nur gutaussehend und der Schwarm aller Mädchen, er ist auch ein erfolgreicher Sportler und guter Schüler. Also versinnbildlicht er alles, was Tegan unerreichbar scheint. Immerhin wird sie wegen ihrer angeborenen Missbildung einer Hand von allen schräg angesehen und ausgegrenzt. Nach anfänglicher Ablehnung lässt sich Tegan an diesem Abend auf den unerwarteten Gefährten ein und führt mit ihm tiefsinnige Gespräche, während draußen ein Blizzard tobt. Je mehr sie von Mac erfährt, desto mehr gerät ihr Weltbild ins Wanken. Sie muss nicht nur ihre Meinung über Mac revidieren, sondern vor allem auch ihre eigene Rolle überdenken.
Komplexes Gefüge von Trauer, Opfer und Täter
Autor Val Emmich führt seine jungen Leserinnen und Leser sanft aber beharrlich ans eigentliche Thema heran: Der Umgang mit der eigenen Opferrolle - und letztlich der Ausstieg daraus. Er tut dies, indem er ein sehr ruhiges Setting wählt: Das Edison-Museum, in dem sich auf kleinstem Raum zwei sehr verletzte junge Menschen begegnen. Beide gehen mit ihren tiefen Verletzungen anders um: Tegan verleugnet sie vordergründig, Mac greift an. Beiden gemein ist, dass sie unter anderem ihre Mütter für die Misere verantwortlich machen und damit einen wichtigen Halt verlieren. Doch was genau den jeweils anderen bewegt, welche Verletzungen er hat und warum keiner der beiden Teenager nach Hause möchte, erfahren die Leserinnen und Leser erst nach und nach. Dies in Form von kleinen Ausflügen aus dem engen Museums-Umfeld, sei es nun tatsächlich oder in gedanklichen Rückblenden. Interessant ist hier auch die zweite Seite von Tegan: sie kompensiert ihre vermeintlich schwächste Stelle – eine angeborene Deformation der Hand – indem sie hinter einem Pseudonym versteckt als eine Art Troll agiert.
Dem Vorurteil begegnen
Dass ausgerechnet Mac sie in ihren Gammelklamotten und in einem desolaten psychischen Zustand antrifft, bewegt Tegan unangenehm. Denn Autor Val Emmich hat Mac mit einer gehörigen Portion positiver Attribute und Tegan mit entsprechenden Vorurteilen ausgestattet. Auch hier geht der Autor einen interessanten Weg: Tegan muss sich eingestehen, dass ihr Hassobjekt, der auf jeder Ebene erfolgreiche Mac, eigentlich ein netter Kerl ist und gar nicht dem Bild entspricht, das sie sich von ihm gemacht hatte. Sie trifft vielmehr auf einen ebenso verletzlichen wie verletzten jungen Mann, der dennoch umsichtig mit Tegan umgeht und offen auf das feindselige Mädchen zugeht. Hier zeigt Val Emmich unaufdringlich Möglichkeiten auf, mit verletzten Gefühlen eines Gegenübers umzugehen.
Fazit
Auf den ersten Blick ist Du bist der Sturm, du bist das Licht ein ausgesprochen ruhiger Roman, der nur mit einem recht kleinen Spannungsbogen aufwarten kann. Bei näherem Hinsehen ist es jedoch ein tiefsinniger und feinfühliger Roman über Trauer, Verletzlichkeit, Vorurteile und Enttäuschung. Und nicht zuletzt über Liebe.
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