Mitreißende, ernsthafte und bewegende Geschichte
Früher war in Audreys Familie alles gut. Das war die Zeit, als sie noch an Romantik und Happy Ending glaubte. Aber das war vor der Zeit, als ihr Vater die Familie verließ, um mit seiner jungen Freundin neu anzufangen, vor der Zeit, als ihre Mutter begann zu trinken, vor der Zeit, als ihr Freund Milo zu dem Schluss kam, dass es wohl unmöglich ist, mit einem Mädchen wie ihr Sex zu haben. Audrey hat viele gute Gründe, nicht mehr an Liebe und Romantik zu glauben, als sie aber Harry bei ihrem kleinen Aushilfsjob in einem Programmkino kennen lernt, hat sie plötzlich einen Grund, vielleicht doch noch einmal ihre Meinung zu ändern.
"Bei Romeo und Julia wären die verfeindeten Familien mit der Zeit ein echtes Problem gewesen."
Holly Bourne lässt ihre Heldin Audrey Winters aus der Ich-Perspektive über ihr aus dem Fugen geratenes Leben erzählen. Für eine Jugendliche ist es eine kaum zu bewältigende Agenda – die Mutter, die sich verzweifelt an die alten Erinnerungen oder an den Alkohol klammert, der Vater, der alle Hände voll damit zu tun hat, sein neues Leben mitsamt neuen Kindern auf die Reihe zu kriegen und das alte recht schnell hinter sich zu lassen, der Schmerz um den miesen Verrat der ersten großen Liebe. Es muss daher sicher nicht überraschen, dass Audrey nicht mehr an die Romantik oder Verlässlichkeit glaubt. Bourne schildert ihre Zerrissenheit, ihre Zweifel und ihre zunehmende, familienbedingte Abkapselung nachvollziehbar und berührend. Sie zeigt, wie das Wasser langsam zu hoch steigen kann, um den eigenen Weg noch zu finden und wie selbst die alten Freundinnen nicht mehr zu ihr durchdringen können.
In dieser Situation könnte Harry als der berühmte rettende Engel auftauchen, aber Bourne steht über diesen Klischees. Harry ist tatsächlich ein Aufreißer, der sicherlich oft erwähnte „Bad Boy“, der dann bei näherem Hinsehen gar nicht mal so böse ist, einfach deswegen, weil wohl auch jeder Aufreißer nicht nur immer simpel böse ist. Dieser „Bad Boy“ macht zu Beginn seinem miesen Ruf alle Ehre: er zieht das klassische Verführungsprogramm durch und erwartet das schlichte Happy End. Hier ist es dann schön zu lesen, wie das 08/15-Muster dieses Mal nicht klappt.
Dennoch verrate ich aber sicherlich kein Geheimnis, dass es natürlich zwischen Audrey und Harry zu einer Liebesgeschichte kommt. Diese Entwicklung wird zart und glaubhaft geschildert. Manchmal hätte ich mir allerdings gewünscht, ein bisschen mehr über Harry zu erfahren, wird doch vieles aus seinem Leben nur grob skizziert und auch der große Familienkrieg, der einen wichtigen Einschnitt in seinem Leben ausmachte, wird leider nur angedeutet.
„Aber gib’ ihnen zehn Jahre und ich wette, dass Johnny jedes Mal die Augen verdreht, wenn Baby wieder über den Golfkrieg predigt. Und sie wird total genervt sein, dass er keine richtige Arbeit hat.“
Dennoch kann ein Mensch der schon angesprochene „rettende Engel“ sein, ohne dass er der starke große Held ist, der mitsamt der Prinzessin auf dem weißen Pferd entschwindet. Mit seiner Hilfe und durch ihre Liebesgeschichte erfährt Audrey mit dem Leser, dass das Leben nicht immer eine wundervolle Kinoromanze ist, auch wenn wir uns das sicherlich wünschen würden. Dennoch hat sie zum Schluss die eine wichtige Erkenntnis gewonnen, nach der andere ihr Leben lang streben und immer noch glauben, dass Liebe eine wahre Himmelsmacht ist, der alle Menschen regelrecht wehrlos ausgeliefert sind. Ob eine solche Erkenntnis allerdings dann zwangsläufig zu einem Happy End führt, dass es laut Audreys Einschätzung ja tatsächlich nur im Film gibt, das möchte ich hier tatsächlich nicht verraten. Gut gefallen hat mir übrigens auch, dass die Autorin in ihrem Buch einige Filme vorstellte, die tatsächlich wundervolle Geschichten erzählen und die Leser neugierig machen, sich diese einmal anzusehen.
Fazit
Holly Bourne erzählt eine manchmal lustige, manchmal traurige, romantische, aber immer glaubhafte und berührende Boy-meets-Girl-Geschichte. Ihr Roman berichtet von zwei Strudelnden und Untergehenden, die durch ihre Liebe wieder Boden unter den Füßen gewinnen können, zuletzt eine wichtige Wahrheit über die Liebe erfahren und dann wirklich wissen, ob das Happy End tatsächlich eine reine Filmfiktion ist.
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