Wilbur César Hernandez Schott und sein bester Kumpel Sal – man muss sie lieben
Stell’ dir vor, du sollst für eine Zeitkapsel eine ganze besonders private Nachricht an dich in zehn Jahren schreiben. Du sollst alles schreiben, was dich gerade bedrückt und was du dir wünschst und dann kannst du – wenn du den Brief in zehn Jahren öffnest – sehen, dass alles doch nicht so schlimm war. So die Theorie. Natürlich rechnest du nicht damit, dass ausgerechnet dein Brief verloren geht und gerade der Klassenmistkerl Tyler ihn findet! Logisch, dass der ihn fotografiert und postet. Das allerdings wird wohl auch in zehn Jahren nicht vergessen sein – vielleicht in hundert oder tausend oder so. Ab jetzt kann die Devise dann nur heißen: Nicht gesehen werden und versuchen keine Angriffsfläche zu bieten. Irgendwann klappt das auch ganz gut und zwar exakt bis zum Tag des Schüleraustauschs. Denn dann steht der Austauschschüler Charlie vor dir und – oh weia – es ist kein Charlie, sondern eine Charlotte. Und was für eine…
„Nie im Leben werde ich vor dem Schulabschluss eine liebe- und einvernehmlich respektvolle Beziehung haben.“ - Wilbur Céser Hernandez Schott
Wieder ist es Susin Nielsen gelungen, fantastische, lustige und ganz besondere Helden zu schaffen. Da ist zum einen der Ich-Erzähler Wilbur César Hernandez Schott – aus dessen Name sich der absolut-lustige-haben-wir-gelacht-Spitzname „Wichs“ bauen lässt und der nach seinem Fiasko mit der Zeitkapsel natürlich am liebsten auf ewige Zeiten untertauchen würde.
Der zweite besondere Held ist sein bester Kumpel, sein Nachbar Sal, der nach dem Zweiten Weltkrieg als 16jähriger nach Kanada auswanderte und damit ordentlich ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel hat. Aber auch eine Menge mehr Erfahrung, Charme und Witz und das alles wird dringend gebraucht, wenn es darum geht, Wilbur aus seinem gefühlten Erdloch herauszulocken, in das er sich nach seiner Blamage geflüchtet hat.
Natürlich könnte man ihn da auch drin lassen, aber wie anders sollte es möglich sein, dafür zu sorgen, dass Wilbur sich vielleicht doch noch gegen den fiesen russischen Geschäftsmann Chernov durchsetzen, im Schulorchester den besonderen Akzent einbringen, sich gegen das Matriarchat seiner beiden Mütter behaupten, mit seiner Schulklasse eine weite Reise in das wundervolle Paris antreten und da vielleicht doch noch Herz und Hand der noch wundervolleren Charlotte erobern kann? Natürlich kann auch ein alter und gewitzter Herr nicht allein so eine Herkulesaufgabe bewerkstelligen und so erhält er Unterstützung von Wilburs bestem Freund Alex nebst neuem Lover Fabrizio und auch Wilburs Hund Templeton – der möglicherweise hässlichste Hund Kanadas – ist mit von der Partie.
„Unser Leben ist bloß ein Fliegenschiss.“ - Sal Goldstein
Susin Nielsen beschreibt mit Witz und Charme Wilburs anstrengende Kämpfe bei der Selbstoptimierung auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Mir gefiel hier besonders gut, dass Wilbur nicht nur das ständige Opfer seiner – teilweise – erbarmungslosen Mitschüler oder von miesepetrigen Erwachsenen ist, sondern auch – wie es halt im Leben so ist – manchmal ein Stück an dieser Misere mit Schuld ist. Gut gefiel mir auch, wie unaufgeregt mit Fragen des schwul-lesbischen-Lifestyles umgegangen wird: Wilburs zwei Mütter leben in einer lesbischen Partnerschaft, eine kann kochen, die andere nicht und das sind dann schon die wichtigsten Informationen. Sein Kumpel Alex ist mit Fabrizio liiert und auch diese Beziehung wird nicht sonderlich thematisiert. Nielsen steht natürlich über dem glänzenden, blinkenden Hollywood-Happy End und so kann natürlich nicht alles gut enden. Auch wenn wir uns das als Leser gewünscht hätten. Es ist halt wie im richtigen Leben.
Fazit
Susin Nielsen hat eine wunderbare Geschichte über Freundschaft, sich selbst finden und Mut geschrieben und diese in einen Trip von Kanada nach Europa verpackt. Ich habe mit ihren Helden gelacht und gelitten und manchmal – aber nur manchmal – frage ich mich, ob ich mir nicht auch ein Triangel kaufen sollte…
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