More Happy Than Not

  • Arctis
  • Erschienen: März 2022
  • 1

übersetzt von Lisa Kögeböhn; Hardcover, 368 Seiten

ISBN: 9783038800583

More Happy Than Not
More Happy Than Not
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Sabine Bongenberg
7101

Jugendbuch-Couch Rezension vonJul 2022

Einiges sehr berührend, einiges ein wenig unscharf

Vermutlich hat jeder in seinem Leben Dinge, die er gerne vergessen würde: Peinliche Momente, stammelnde Liebeserklärungen, Augenblicke, in denen man sich unbeschreiblich doof vorkam. Alle haben wir die, alle müssen wir damit leben. Aber es gibt auch Menschen, die es nicht mehr ertragen, mit alten Erinnerungen zu leben, die den Tod naher Verwandter verkraften müssen oder glauben, dass ihre sexuelle Ausrichtung nur eine Frage einer speziellen Erinnerung sein könnte. Diese Menschen wenden sich dann an das „Leteo-Institut“ und hoffen, dass sie von ihren – für sie quälenden – Bildern im Kopf befreit werden können. „Leteo“ nämlich vermag Erinnerungen quasi auszuradieren.

Seit neuestem gehört Aaron Soto, 16 und sexuell unentschlossen, zu denen, die sich für diese Methode interessieren. Alles ist verquer, vieles aus dem Tritt – wäre es da nicht toll, wenn einfach ein Reset-Knopf gedrückt werden und vieles neu und frisch angegangen werden könnte? Aaron vergisst nur eines: Es gibt Erinnerungen, Gefühle und insbesondere Ausrichtungen, die können nicht einfach wegradiert werden. Auch dann nicht, wenn man es vielleicht wünscht – oder vielleicht gerade dann nicht.

„Me-Crazy hat gesehen, wie du deinen Lover umarmt hast.“, sagt Me-Crazy.

Dieser Roman des US-amerikanischen Autors Adam Silvera wurde in seiner Heimat damit ausgezeichnet, dass er zu den hundert besten Jugendromanen aller Zeiten gehört. Dennoch muss das, was in den USA gelobt wird, nicht zwangsläufig auch in Deutschland funktionieren. Sein Held Aaron tritt als Ich-Erzähler auf und lässt uns an seinem Leben teilhaben. Als Puertoricaner mit einer allein erziehenden Mutter ist er nicht mit einem goldenen Löffel im Mund aufgewachsen, dennoch ist sein Leben keine zornige Anklage, sondern es ist halt so, wie es ist. Eigenartig fand ich allerdings, dass der Held trotz seiner Nähe durch die Ich-Erzählung doch immer ein wenig distanziert wirkt und sich auch seine Gefühlswelt nur zögerlich offenbart. Ich wurde daher lange Zeit mit Aaron nicht so recht warm, noch schwieriger tat ich mich mit seinen Freunden. Hier hätte ich mir manchmal eine etwas tiefere Charakterisierung gewünscht.

Dennoch ist ein entscheidender Punkt ganz klar herausgestellt: Seine Freunde halten nichts von Homosexuellen und selbst in der U-Bahn kann es Probleme geben, wenn andere eine – grundsätzlich – freundschaftliche Geste zwischen zwei Jungs missinterpretieren. Aaron, der sich zwischen seiner Beziehung zwischen seiner Freundin Genevieve und seinen tieferen Gefühlen zu seinem Kumpel Thomas hin- und hergerissen fühlt, wird somit zunehmend zerrissen und diese Darstellung ist dem Autor gut gelungen.

Was mich störte war dagegen, dass Aaron seine Beziehung zu Genevieve offensichtlich als Tarnung für seinen wachsenden Hang zur Homosexualität missbraucht, denn das macht ihn als Helden nicht sonderlich sympathisch. Mir kam es auch widersprüchlich vor, dass er fest der Meinung ist, dass sein Kumpel – entgegen dessen Erklärung – unbedingt schwul sein und dazu ganz bestimmt für ihn tiefere Gefühle hegen müsse. Manchmal wunderte mich schon, wo das plötzlich dieses Selbstbewusstsein herkommen sollte. Beeindruckend waren dagegen einige Szenen mit seinen Freunden und insbesondere die „finale Schlacht“.

„Er sollte wissen, dass sein Zwillingsbruder Kenneth existiert hat.“

In diesem ganzen Chaos, das Adams Leben, seine Gefühle und zuletzt die Chemie mit seinen Freunden ausmacht, kam die eigentliche Geschichte über das „Leteo-Institut“ und dessen Eingriffe zu kurz. Lange Zeit spielte dieses Institut überhaupt keine Rolle, sodass ich mich schon über den Klappentext wunderte, dann ging die Entwicklung aber plötzlich Schlag auf Schlag und dieses Tempo und die relativ oberflächliche Haltung im Hinblick auf einen Eingriff, der immerhin das Gehirn betraf, der wunderte mich dann auch wieder. Mir gefiel aber gut, wie die Geschichte neu aufgerollt wird, der Leser neue Betrachtungen erfährt und damit auch ein neues Verständnis für den Helden entwickelt.

Dennoch – auch wenn ich mit einigem in diesem Buch nicht hundertprozentig glücklich war, kommen einige Sätze Silveras wie ein Paukenschlag. Erinnerungen können schmerzlich sein, aber sie setzen geliebten Menschen auch ein Denkmal und bringen uns manchmal unter Tränen zum Lächeln. Dieses Buch weist übrigens die Besonderheit auf, dass es eine Geschichte erzählt, die schon vor vielen Jahren geschrieben wurde und die der Autor erweiterte. Damit erfahren wir noch mal ein bisschen mehr über Aarons Leben und können somit noch einmal ein bisschen mehr für ihn hoffen – und das ist gut.

Fazit

Erinnerungen – was wollen wir vergessen, welche wollen wir vergessen, wollen wir sie wirklich ganz und gar und unwiderruflich vergessen? Je länger man darüber nachdenkt, um so schwieriger wird diese Frage. Adam Silvera baut sie um ein weiteres Gerüst, das sich Fragen zur sexuellen Identität, zur Bedeutung des Freundeskreises und der Familie stellt und zeigt, dass viele Erinnerungen schmerzlich und manchmal vielleicht sogar unüberwindlich quälend wirken – aber, dass das Leben ohne Erinnerungen noch schlimmer sein kann.
 

More Happy Than Not

Adam Silvera, Arctis

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