Für was englischer Humor so alles herhalten muss
Die Iremongers bilden im 19. Jahrhundert eine wichtige Dynastie in einem London der Phantasie. Sie sind aus Müll- und Lumpensammlern hervorgegangen, haben großen Reichtum und somit erheblichen Einfluss erlangt und jetzt sind sie es, die in vielen Dingen den Ton angeben. Jedes Familienmitglied hat eine Besonderheit, bekommt es doch ein individuelles Geburtsobjekt zugeteilt. Das kann eine kleine oder belanglose Sache sein, denkbar ist aber auch ein schwerer, sperriger Gegenstand – der natürlich dann seinen Eigentümer zu quasi lebenslangem Hausarrest verdonnert. Selbstverständlich hat auch der fast 16jährige Clodius Iremonger ein solches Objekt – in seinem Fall einen Badewannenstöpsel – erhalten. Clod zeichnet aber eine besondere Gabe aus, die seinen Verwandten fehlt, kann er doch hören, wie die Geburtsobjekte ihre Namen raunen. Eigenartig ist allerdings, dass die Namen der Objekte, denen von ganz normalen Menschen sehr ähnlich sind, noch eigenartiger ist, dass diese unbelebten Dinge, plötzlich ein Eigenleben zu entwickeln scheinen.
So heiter wie eine verregnete Woche
Der englische Autor Edward Carey beschreibt in seinem ersten Iremonger-Werk eine skurrile Welt. Die Iremonger leben in einem Gebirge von Müll, das sich mittlerweile offensichtlich über große Teile Englands erstreckt und gehen hier ihren seltsamen Familienbräuchen nach. Wer das 15. Lebensjahr vollendet hat, wird alsbald mit einer Verwandten verheiratet, eine Mitsprache hat er nicht, aber immerhin darf er ab diesem Geburtstag dann endlich lange Hosen tragen. Einiges aus diesen Geschichten erinnerte an ein England, wie es die düsteren Kapitel aus den Werken von Charles Dickens beschrieb. Unterstrichen wird das auch durch die melancholischen Illustrationen, die die Heiterkeit eines Begräbnisses ausstrahlen. Kinder werden hier verprügelt, Haustiere totgetreten und die Dienerschaft erhält jeden Abend einen Löffel eines seltsamen Pulvers verabreicht, das sie offensichtlich ruhig stellen soll. Wer gut gelaunt in dieses Buch einsteigt, wird alsbald erfahren, wie sich auch die beste Laune zu einer miesepetrigen Haltung abkühlen kann.
Robert Burrington, Freddy Turner, Robert Burrington, Freddy Turner
Dennoch – sicherlich muss nicht jedes Buch Heiterkeit oder Hochspannung ausstrahlen. Trotzdem ist die hier vermittelte Düsterkeit teilweise schon ein starker Tobak. Was mich bei der Lektüre aber wirklich nervte, war die gebetsmühlenartige Wiederholung verschiedener Themen. Spätestens nach dem ersten Drittel hat vermutlich jeder begriffen, dass Clod Iremonger Objekte sprechen hören kann. Sicher wäre es nicht nötig gewesen, diese Fähigkeit immer und immer wieder zu wiederholen.
Überhaupt ist vieles sehr umständlich beschrieben und eine Frage, die mit einem schlichten „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden könnte, dehnt sich gerne mit nachfragen, ausweichen, nochmal fragen, halb beantworten und nochmal nachhaken auf eine Seite aus. Mir war vieles zu umständlich, zu getragen und überhaupt erschloss es sich mir nicht, warum die halbe britische Insel offensichtlich im Müll versank. Denkbar ist, dass ich das Buch schlicht und ergreifend nicht verstanden habe, aber die Lektüre war für mich harte Arbeit und die Ankündigung von Band 2 dann schon fast eine Drohung. Auch die sicherlich spezielle Wendung des Buches und die damit verbundene Erklärung, warum die Geburtsobjekte einen Namen nennen und plötzlich eigenartige Aktivitäten aufweisen, konnte mich nicht mehr überzeugen, dauerte es doch für meinen Geschmack viel zu lange, ehe es hier zu einer Auflösung kam.
Fazit
Die Verlobte, die so gern Brustwarzen zwischen die Finger klemmt und sie verdreht, das Haustier, dem mit einem sanften Knacken der Hals herumgedreht wird, dazwischen deprimierte Figuren und eigenartige Darsteller – den englischen Humor hatte ich weiß Gott anders in Erinnerung!
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