Wo fängt Freundschaft an, wo hört sie auf?
Leo, Elsa und Max sind die besten Freunde. Sie leben in den Dreißigerjahren in Wien. Als der Anschluss Österreichs an Deutschland im Jahre 1938 geschieht, müssen sie erkennen, dass viele weitergehende, schicksalsschwere Wendungen in ihrem alltäglichen Leben geschehen. Wir lernen die drei auf einer ausgelassenen Geburtstagsparty im Wiener Prater kennen, bei der sie mit dem Riesenrad fahren und ein wunderschönes Foto von ihnen geschossen wird. Als Leo dann aber versehentlich gegen ein britisches Paar stößt, lädt sein Vater die Touristen als Entschuldigung auf ein Stück Sachertorte ein. Diese hier banal erscheinende Situation wird ihm im Nachhinein das Leben retten.
Eine Geschichte mit biographischem Hintergrund
Liz Kessler schreibt die Geschichte ihres Vaters auf, denn die rettende Begegnung hat es so tatsächlich gegeben. Ihr Vater war Jude und lebte zur Zeit des Nationalsozialismus. Mit viel Einfühlungsvermögen und einer Menge spürbarer Neugier hat die Autorin Teile ihrer eigenen Familiengeschichte mit fiktiven Elementen verknüpft. So erschafft sie die beiden jüdischen Protagonisten Leo und Elsa und die Figur Max. Sie sind ein unschlagbares Team, befreundet, bis sich weltpolitisch so einiges ändert. Max´ Vater ist Nationalsozialist und gehört hinterher auch zur SS. Er verbietet seinem Sohn den Kontakt zu seinen jüdischen Freunden. Elsa gelingt es, mit ihrer Familie zu fliehen, Leo hingegen bleibt in Wien. Nach und nach wird erkennbar, dass Max in die Fußstapfen seines Vaters tritt und sich in die Hände des nationalsozialistischen Gedankenguts begibt. Zu Beginn fühlt er noch mit, wenn beispielsweise Leo aufgrund seiner Religion verspottet wird. Mit der Zeit entfernt er sich immer mehr von seinen Kindheitsfreunden und wird mit Haut und Haaren in den „braunen Sumpf“ hineingezogen.
Bildreich, realistisch und aufrüttelnd
Die Autorin hat eine gelungene Erzählweise gewählt, denn sie nutzt unterschiedliche Perspektiven, um den Zeitraum von 1936 bis 2021 zu beleuchten. Den Hauptfiguren Elsa und Leo gibt sie eine eigene Stimme, unabhängig voneinander erzählen sie ihre Erlebnisse aus der Ich-Perspektive. Auffällig ist, dass Max die eigene Stimme fehlt. Momente seines Lebens werden immer in der dritten Person wiedergegeben. So gelingt es Kessler durch einen gezielten Bruch der Erzählperspektive Situationen zu schaffen, die eine Identifikation möglich machen und eine klare Grenze und viel Weitsicht benötigen. Ihre Schreibweise ist angenehm flüssig und bildreich, sie schildert realistische, alltägliche Situationen der Figuren als Spielball der Ereignisse im Kontext des Nationalsozialismus und des Holocaust. Dabei haben ihre Kapitel immer eine gerade passende Länge, in denen spannend und authentisch erzählt wird.
Fazit
Ein gelungenes Jugendbuch über die Macht der Verführung, Gruppendynamik und den Holocaust im Rahmen des historischen Kontextes. Die Autorin hält uns hier einen Spiegel vor und zeigt uns, dass wir es auf jeden Fall anders machen müssen und es keine Menschen zweiter Klasse geben darf. Ein wirklich lesenswertes Buch!
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