Erschreckend realistisch, berührend und beängstigend
Die fünf Teenager Joe, Peaches, Mai, Violet und Ellie wollten das Festival gerade verlassen, als sie die ersten Schüsse hörten. Die ersten Menschen fielen um und einige dachten noch, es sei ein Flashmob. Das dachten sie - bis sie das Blut sahen. Nach dem Festival werden die Zeitungen berichten, dass Terroristen auf gut gelaunte Konzertbesucher, die gerade arglos den Heimweg antraten, das Feuer eröffneten. Dass sie anfangs wahllos in die Menge schossen, später aber regelrecht Jagden auf ihre panischen Opfer veranstalteten. Mittendrin – die Teenager. Vorher kannten sie sich gerade mal vom Ansehen und jetzt wurden sie zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengeschweißt, die um ihr Leben kämpfen muss – in der vermutlich längsten Nacht ihres Lebens.
Die englische Autorin Sera Milano erschafft mit ihrem Debutroman im Jugendbuchbereich ein von Anfang an atemloses Tempo. Die fünf Protagonisten erzählen kurz und knapp in abwechselnden Notizen, wie sich das Drama nach dem friedlichen – ein bisschen altbackenen – Ambereve-Festival entfaltete. Wie sie zunächst alle der wunderschönen, tanzenden Ellie in ihrem Pailletten-Glitzerkleid zusahen – bis sich plötzlich die Hölle auftat. Durch die Technik, jeden Erzähler nur kurz berichten zu lassen, gelingt es der Autorin die Atemlosigkeit des Abends und die hektischen Bewegungen der flüchtenden Menschen eindringlich darzustellen. Sicher, eingangs ist das etwas verwirrend, da auch keine große Einführung der jeweiligen Sprecher erfolgt, aber der Leser kann sie alsbald gut auseinanderhalten und in dem ganzen Durcheinander ist ein ausführliches Vorstellen auch gar nicht mal so wichtig.
"Eine Sache, an die ich mich noch allzu deutlich erinnere, ist, dass Schreie sich verändern zwischen der Zeit, in der Leute fürchten, gleich sterben zu müssen und dem Moment, wenn der Tod kommt."
Wäre es nicht so ein schreckliches Thema, würde ich gerne sagen, dass das Buch eine atemlose Spannung erzeugt und man es kaum aus der Hand legen mag. Tatsächlich ist das auch so – andererseits bin ich der Meinung, dass die Ernsthaftigkeit des Themas weit über der Bewertung „spannend“ steht. Milano berichtet regelrecht Haarsträubendes: Von Menschen, die versuchten, sich unter der Bühne zu verstecken und dort von den Terroristen gestellt wurden, von einem alternden Rockstar, der sich in seinem Wohnwagen verbarrikadierte und andere draußen ließ, von Menschen, die regelrecht Jagd auf andere machen. Für Empfindsame ist dieses Buch nichts – ich weiß auch nicht, ob die Altersgrenze nicht etwas höher angesetzt werden sollte. Dennoch gelingt es der Autorin in der ganzen Brutalität und Grausamkeit zarte Momente zu schaffen, die anrührend von Trauer und Leid berichten.
„Bitte“, flüsterte er so leise, dass es kaum zu hören war. „Erzähl es meiner Mum. Erzähl meiner Mum von mir“
Neben den hektischen Berichten der Protagonisten hat Milano auch Aussagen von Zeugen oder der Polizei eingebaut. So verschafft sie dem Leser gelegentlich eine Atempause und bietet die Möglichkeit wie aus der Vogelperspektive einen Überblick über die Lage zu bekommen: Wie es den Terroristen gelingen konnte, die Besucher am Verlassen des Geländes zu hindern und wie sie eiskalt geplant hatten, die Security und die ahnungslose Polizei als erstes auszuschalten. In diesem Zusammenhang gefiel mir übrigens gut, dass über die Terroristen und über ihre Motive nichts ausgesagt wird. Der Leser ist damit nur bei den Überfallenen und denen ist letztendlich jedes Motiv der Täter in diesem Moment egal. Gut wird auch erzählt, wie sich die Perspektiven zwischen den Jugendlichen ändern. Da ist beispielsweise Peaches, das unsportliche, dicke Mädchen, das bisher nur auf seine Äußerlichkeiten beschränkt wurde und zukünftig anders gesehen wird. Ihr hätte ich auch gewünscht, dass sie mit einer Heldentat aus dieser Nacht hervorgeht – aber auch hier erzählt die Autorin davon, wie Angst und Panik die Geburt einer Heldin verhindern können.
Letztendlich zeigt Milano auch, was bleibt. Wie die Überlebenden versuchen, wieder auf die Beine zu kommen. Wie sie damit umgehen müssen, warum sie überlebten und der Freund, die Freundin, die Mutter neben ihnen erschossen wurde. Alle letzten Worte der Überlebenden sprechen von Hoffnung für ihr weiteres Leben und von Liebe und sicher macht das allen Leserinnen und Lesern Mut.
„Ich erinnere mich an Mütter, die ihre Kinder an sich gedrückt haben, um sie zu beschützen. An Freunde, die Arm in Arm weggegangen sind oder sich an den Händen gehalten haben, als sie starben."
Fazit
Ein bestürzender Roman, der einem den Atem raubt, berührend, beängstigend und leider erschreckend aktuell.
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