Hinter Glas

  • dtv
  • Erschienen: November 2022
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Broschur, 208 Seiten

ISBN: 9783423627726

Hinter Glas
Hinter Glas
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Rita Dell'Agnese
9101

Jugendbuch-Couch Rezension vonDez 2023

Leise Töne, die ganz laut erscheinen

Die Familienkonstellation, in der Alice lebt, ist alles andere als harmonisch. Der Großvater nimmt eine sehr dominante Rolle ein und unterdrückt die übrigen Familienmitglieder gekonnt. Die unerträgliche Situation macht Alice immer wieder krank, ihre Zurückhaltung macht sie in der Schule zudem zu einem willkommenen Mobbing-Opfer. Erst bei ihrem neuen Klassenkameraden Niko findet Alice Halt und Geborgenheit. Er verkörpert alles, was sie sich gewünscht hat. Um der Situation daheim zu entfliehen, reißt Alice zusammen mit Niko aus. Was sich zunächst wie ein Rausch voller Freiheit und Zuneigung anfühlt, wird nach und nach von Nikos Veränderung überschattet. Bald sieht sich Alice in einer toxischen Beziehung gefangen. Niko verliert nicht nur häufig die Beherrschung, er schlägt auch zu. Mit äußerster Kraft kann sich Alice schließlich aus dieser Situation lösen und ihren eigenen Weg finden.

An den Schreibstil gewöhnen

Die Autorin Julya Rabinowich bleibt ihrem ganz speziellen Schreibstil auch in diesem Buch treu. Sie gibt die Gedanken ihrer Protagonisten mit kurzen Sätzen und wenigen Worten wieder, vermag es aber dennoch, Intensität aufzubauen. Allerdings verlangt das von den Leserinnen und Lesern, dass sie sich auf diese sprachliche Facette einlassen und bereit sind, sich an das Ungewöhnliche zu gewöhnen. Bei der Figurenzeichnung zeigt die Autorin großes Fingerspitzengefühl. Die familiäre Konstellation bei Alice wird schnell als bedrückend und verstörend wahrgenommen, die Protagonistin selber als verstört und auf der Suche nach sich selber. Durch ganz feine Nuancen lässt Julya Rabinowich bei Niko schon von Anfang ein leicht ungutes Gefühl aufkommen, ohne dass man es zunächst wirklich fassen kann. Erst nach und nach vermag man als Leserin oder Leser hinter die Maske des smarten und attraktiven Jungen zu blicken – und sieht dabei in einen Abgrund von Gewalt und manipulativem Wesen.

Intensive Gefühle

Die Autorin vermag die langsame Entwicklung von Alice schlüssig und überzeugend darzustellen. Hilfreich ist dabei der gewählte Einstieg. Alice wird gleich zu Beginn als inzwischen eher gefestigte Person skizziert, die sich jedoch durch die unerwartete Begegnung mit ihrem ehemaligen Freund und Widersacher Niko kurz aus dem Gleichgewicht gebracht sieht. Sehr symbolisch ist dabei das Zerbrechen eines Spiegels, der als Sinnbild für die Rückblende auf Alices Leben wahrgenommen werden kann. Die Scherben als Bruchteile des langen Kampfes, sich aus der Spirale von psychischer und physischer Gewalt zu befreien, haben eine hohe Symbolkraft. Die intensiven Gefühle, die Julya Rabinowich immer wieder aufleben lässt, machen das Buch zu einem sehr speziellen Leseerlebnis. Das Publikum wird mit verschiedener Form von Gewalt konfrontiert, aber auch mit einem wachsenden Überlebenswillen und der Bereitschaft einer zunächst sehr naiven und beeinflussbaren Protagonistin, sich aus der Situation zu befreien. Obwohl immer wieder auch Gewalt und negative Gefühle geschildert werden, bleibt der Roman ein Buch der leisen Töne, die sich jedoch durch ihr ganzes Konzept schliesslich zu einem nachhaltigen Klang entwickeln.

Fazit

Hinter Glas ist ein Roman, der dazu beiträgt, eigene Gefühle besser einzuordnen und toxische Situationen als solche zu erkennen. Er macht Mut, sich gegen scheinbar aussichtslose Konstellationen aufzulehnen.

Hinter Glas

Julya Rabinowich, dtv

Hinter Glas

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