So farblos war die kleine Cruella?
Estella Miller ist jung, hungrig und will als Modedesignerin Erfolg haben. Aber bis dahin ist der Weg ein schwieriger und steiniger und so schlägt sie sich mit ihren beiden Freunden Horace und Jasper erst einmal so durchs Leben. Die drei leben gemeinsam in einer schäbigen Bude und bestreiten ihr Leben mit kleinen Diebereien. Irgendwie kommen sie mit Ach und Krach zurecht, aber das ist nicht das Leben, von dem die junge Frau geträumt hat. Ehrgeizig nimmt sie ihr Schicksal in Angriff, auch wenn das gerade für sie nicht so einfach ist. Denn sie wird gepeinigt von schrecklichen Erinnerungen an den Tod ihrer Mutter und sieht sich auch noch gehandicapt durch eine genetische Besonderheit, die ihr einen sauber geteilten schwarz-weißen Haarschopf beschert hat. Wie sie es aber lernt, mit diesen Besonderheiten und Traumata umzugehen, ist eine besondere Schule und es ist ein harter Prozess, der letztendlich eine neue Person erschafft, die wir alle kennen: Cruella de Vil
„Die einzige Person, die mich repräsentieren kann, bin ich selbst.“
Natürlich ist jedem Superverbrecher seine Boshaftigkeit, seine verbrecherischen Neigungen oder auch seine Gewissenlosigkeit nicht in die Wiege gelegt worden. So war natürlich auch Cruella de Vil einmal ein kleines Mädchen, das möglicherweise Zöpfe getragen hat und von der Mutti ein Pausenbrot geschmiert bekam. Aber irgendetwas muss ja dann in ihrem Leben passiert sein, so dass sie zu der gewissenlosen Boshaftigkeit verkam, die wir alle aus den 101 Dalmatinern oder auch aus dem Film „Cruella“ kennen.
Diese Idee wird in Ishies Manga verfolgt. Hier ist Estella noch ein unsicheres Mädchen – sie versucht ihre besondere Haarfarbe zu verstecken und sie weiß auch noch nicht, wohin ihr Designtalent sie führen soll. Mit dieser Idee und vor dem Hintergrund Londons hätte ich ehrlich gesagt, einen tollen, einen wuchtigen Auftakt erwartet. Unglücklicherweise wird aber das Buch durchgehend in schwarz-weiß präsentiert und irgendwie bleibt damit die große Wirkung aus. Allein der bunte Titel zeigt, wie toll die Zeichnungen hätten wirken können! Natürlich entspricht der schwarz-weiß-Druck Estellas/Cruellas späterer Farbwahl, aber ich verstand zum Beispiel überhaupt nicht, dass sie Anfangs ihre natürliche Haarfarbe mit rot überfärbt. Auch von der quirligen, bunten englischen Hauptstadt ist natürlich mit dem schlichten Druck natürlich nicht viel zu erkenn.
„Normal sein ist langweilig.“
Nicht abholen konnte mich auch die Geschichte, die Estellas Werdegang erklären soll. Eine wichtige Rolle scheint dabei eine andere junge Design-Studentin namens Emilia zu spielen, die allein so wie sie gezeichnet wurde, wie ein personifizierter Engel daherkommt – aber leider keine eigenen Ideen entwickeln kann und sich daher Estellas Ideenreichtum bedienen will. Mir erschloss sich hier nicht, warum die beiden dennoch irgendwie aneinander hängen, warum Emilia selbst keine Ideen hat und warum es letztendlich auch für Estella so ein Problem ist, ihr zu helfen oder warum sie meint, dass sie selbst damit etwas verlieren könnte. Für mich war Emilia – als Prototyp des großäugigen Blondchens – auch zu langweilig und zu steril dargestellt. Immerhin – mir gefiel gut, dass ihre beiden Helfer Horace und Jasper, die in „101 Dalmatiner“ als ziemlich vertrottelte Deppen dargestellt werden, hier schon an ihrer Seite und auch gar nicht mal so doof sind, wie sie später präsentiert wurden.
Fazit
Der Werdegang Cruella de Vils hätte ein buntes, spannendes Abenteuer in einem quirligen London der Siebziger werden können. Tatsächlich entstand ein recht konturenloser, eintöniger Werdegang, der einer Power-Bösewichtfrau wie einer Cruella de Vil nicht würdig ist.
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