Über den Dächern von Jerusalem

  • Carlsen
  • Erschienen: Februar 2023
  • 1

Hardcover, 368 Seiten

ISBN: 9783551585141

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Judith Bäcker
9101

Jugendbuch-Couch Rezension vonMai 2023

Zwei Geschichten, die eng miteinander verknüpft sind

Karim lebt mit seiner Familie in Palästina. Die tagtäglichen Auseinandersetzungen ist er gewohnt. Schon sein ganzes Leben lang gibt es den Konflikt zwischen Arabern und Juden. Und schon sein ganzes Leben lang lebt er im Aida-Flüchtlingscamp, das eigentlich kein richtiges Flüchtlingscamp mehr ist, da die meisten Bewohner dort geboren sind. Anat ist Jüdin und hat gerade ihren Wehrdienst im Westjordanland begonnen. Durch einen Zufall begegnen sich die beiden und kommen nach anfänglichem Misstrauen miteinander ins Gespräch. Die beiden verbindet etwas und das scheinen sie irgendwie zu spüren.

Die andere Geschichte…

Tessa kommt 1947/1948 als Halbwaise aus dem KZ nach Palästina. Ihr Vater wartet hier auf sie und sie hofft auf ein neues, friedliches Leben. Doch ihr Vater lebt im Untergrund und hat andere Pläne als sie. Kurz nach ihrer Ankunft begegnet sie Mo, einem arabischen Jungen aus der Nachbarschaft, und die beiden werden - allen Widerständen zum Trotz - Freunde. Bis Mo eines Tages aus dem Nachbarhaus verschwunden ist…

„Wieder lud er seine Schleuder, griff die Läufe, ließ sie sirren und bemerkte mit Genugtuung, dass die beiden Ausländerinnen auf der anderen Straßenseite ihre Smartphones jetzt auf ihn gerichtet hatten.“

Das Besondere an diesem beeindruckenden Roman von Anja Reumschüssel sind die zwei verschiedenen Zeiten zu denen die Geschichte spielt.

1947/1948 gibt es schon erste Unruhen und Anschläge. Die Juden hoffen auf ein eigenes Land und Frieden für ihr Volk. Die Araber, die schon seit Generationen dort leben, sind zur Teilung ihres Landes nicht bereit. Als die UN-Vollversammlung die Teilung Palästinas beschließt und Ben Gurion den Staat Israel ausruft, eskaliert die Situation.

Die Geschichten von Tessa und Mo sowie Anat und Karim zeigen eindrücklich wie viele Facetten dieser Konflikt in sich trägt. Alle Figuren haben starke Argumente und doch wird auch deutlich, wie viele Vorurteile und langgehegte Feindschaft über Generationen hinweg ihre Begegnung prägen.

Während die Geschichte von Tessa und Mo noch einmal die schwierige Anfangssituation der Staatgründung Israels erzählt, wird in Anat und Karims Begegnung die Entwicklung und Verhärtung der Fronten nach fast 75 Jahren beleuchtet. Die beiden diskutieren und tauschen ihre Argumente aus und trotzdem gibt es für viele Probleme keine Lösung.

„Es war ein heiliger Krieg. So jedenfalls nannten sein Vater und sein ältester Bruder den Kampf gegen Israel.“

Absolut überzeugend und glaubwürdig werden hier die unterschiedlichen Prägungen und kulturellen Hintergründe aus Anats und Karims Leben erzählt. Die alltäglichen Beeinträchtigungen in Karims Leben, der sich nicht frei bewegen kann, und das Leben von Anat, die damit lebt, dass sie und ihr Volk über Generationen hinweg nirgendwo erwünscht sind.

Dieses Buch macht es einem nicht leicht. Man kann jede Partei irgendwie verstehen und zugleich auch nicht, man verurteilt die Gewalt und sieht sie dennoch auf beiden Seiten. Und doch begegnen sich hier vor allem zwei Menschen, die sich mögen und schätzen lernen und die aufeinander zugehen. Und schließlich finden sie etwas heraus, das sie über alle Konflikte hinaus miteinander verbindet.

Fazit

Ein sehr gutes und beeindruckendes Buch, das den Konflikt im Westjordanland anhand zweier persönlicher Geschichten anschaulich verdeutlicht und erklärt.
Absolut lesenswert, super interessant und dabei kurzweilig zu lesen.

Über den Dächern von Jerusalem

Anja Reumschüssel, Carlsen

Über den Dächern von Jerusalem

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