Der Vorhang zu und viele Fragen offen
Es sollte ein schönes Wochenende werden, das die fünf Schülerinnen und Schüler Manuel, Selin, Knut, Philipp und Esther geplant hatten. Ein bisschen lernen, ein bisschen schwimmen, ein bisschen Kiffen, Arbeit und Spaß verbinden und vor allem: viel gemeinsame Zeit mit den besten Freunden verbringen. Aber … sie hätten den Anhalter nicht mitnehmen sollen. Von Anfang an war da so ein doofes Gefühl und vielleicht war es auch nicht so wirklich nett, ihn an der Tankstelle einfach zurückzulassen und seine Tasche wegzuwerfen. Nein, das war bestimmt nicht richtig. Das war auf gar keinen Fall richtig, denn gerade jetzt steht er mit seinen Brüdern im Wochenendhäuschen der Fünf und plötzlich scheint keiner mehr die Situation unter Kontrolle zu haben.
Martin Muser hat früher Krimis und Drehbücher geschrieben und das merkt der Leser schon auf den ersten zehn Seiten: Fünf Kids, die einfach nur in eine Wochenende starten wollen, lesen einen Anhalter auf und schon steigen sie in ein Horror-Szenario ein. Alsbald werden sie nämlich von ihm und seinen Brüdern terrorisiert. Warum? Weil sie ein paar wertlose Sachen aus dem fahrenden Auto geworfen haben, weil sie besser situiert und privilegiert sind, weil niemand ihnen helfen will, weil sie nicht wissen, wie sie sich wehren sollen und – weil ... Drei Angreifer dringen in eine gutgläubige, vielleicht auch in eine naive Welt ein. Sie terrorisieren deren Bewohner, die im Schulunterricht einiges über Ethik gelernt haben und vielleicht gerade deswegen den Attacken ihrer Peiniger mehr oder weniger hilflos ausgeliefert sind.
Können wir jetzt vielleicht mal vernünftig miteinander reden?
Die Geschichte schaukelt sich vom harmlosen Tourauftakt und den ganz normalen Darstellungen einzelner Mitreisenden atemberaubend schnell hoch. Man kann das Buch fast nicht aus der Hand legen, so geschockt ist man von Hausfriedensbruch, schwerem Raub, schwerer Körperverletzung und zum Schluss geplantem Mord. Schwer ist auch zu lesen, wie die Teenager noch versuchen, sich aus der Lage zu entziehen, Lösungen anbieten, Geld zahlen, Entschuldigungen aussprechen und doch nicht erkennen, dass es ihren Peinigern überhaupt nicht darum geht.
Der deutsche Publizist und Soziologe Eugen Kogon, der im KZ Buchenwald unter dem Terror der SS litt, sagte einmal, dass Terror nicht bestimmte Stärken, sondern bestimmte Schwächen der menschlichen Natur ins Auge fasst. Hier legen die Eindringling regelrecht ihre Finger auf die Wunde: Was wäre in dieser Situation eine ethische Entscheidung, wie sieht eine Lösung in einem Dilemma-Spiel aus, das aber überhaupt kein Spiel mehr ist? Es sind aber nicht allein die Eindringlinge, die ihr Terror-Regime aufbauen, sondern wie immer sind auch diejenigen dabei, die sich schweigend abwenden. Beispielhaft wird hier vom Nachbarn Hanika erzählt, der schon mitbekommt, dass sich nebenan etwas tut, was nicht normal ist oder möglicherweise darauf hinweist, dass sich andere in Gefahr befinden. Martin Muser zeigt hier einmal mehr, dass Terror seine Steigbügelhalter braucht und dass er aber auch in verschiedenen Gestalten auftreten kann.
Es hatte sich richtig gut angefühlt, dass sie ihn um etwas bitten musste...
Nach meiner Begeisterung über die grandiose Spannungskurve hätte sich die Bewertung dieses Romans dann ja eigentlich im Neun- oder Zehn-Punktebereich befinden müssen. Aber es kam der jähe Absturz: Als im Roman alles verloren schien, da kam aus vollkommen unerwarteter Richtung ein jäher Umbruch und schon änderte sich plötzlich alles. Mit dieser Wendung hatte ich allerdings einerseits wegen ihrer Zufälligkeit und andererseits wegen ihrer fehlenden Konsequenzen Schwierigkeiten.
Mir stellte sich insbesondere die Frage, ob – wenn endlich die Möglichkeit besteht, Hilfe an- und Sanktionen gegen den Terror einzufordern – das dann wegen einer dringenden Hilfestellung zugunsten der Täter unter den Tisch fällt? Würde erneut tatsächlich das getan, was ethisch möglicherweise korrekt ist und später erst angeklagt oder bestraft? Für mich fehlte hier eine Auflösung und eine Hilfe, mit dem vorangegangenen Schrecken umzugehen - vielleicht auch nur ein Trost. Abgesehen davon, hätte ich mir ein „Nachspiel“ gewünscht – nämlich eine juristische Aufarbeitung und die – sagen wir wie es ist – stinknormale Bestrafung der Übeltäter.
Fazit
Martin Muser torpediert den Leser regelrecht in eine atemlose Spannung und katapultiert ihn genauso schnell und unvermittelt wieder heraus. Ich fühlte mich mit diesem Ende allein gelassen. Allein mit dem geschlossenen Vorhang und vielen offenen Fragen.
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