Meinen Dauerlauf geb‘ ich niemals auf …
Auf zum Olymp! Endlich hat Halbgott Hercules sich bewährt, seine Prüfungen gemeistert, durch reine Selbstlosigkeit seine geliebte Megara aus der Unterwelt gerettet und sich so die Unsterblichkeit zurückerrungen. Auf seinen rechtmäßigen Platz inmitten der anderen Götter möchte er jedoch der Liebe wegen verzichten und stattdessen mit Meg auf Erden bleiben. Hier jedoch legt Zeus unerwartet Veto ein und verbietet seinem Sohn schlichtweg diesen Wunsch.
Doch vielleicht gibt es noch eine andere Möglichkeit? Hera, die der Liebe nicht im Weg stehen möchte, bietet Meg still und heimlich an, ihre eigenen „Herkulesaufgaben“ zu erfüllen und sich damit selbst die Unsterblichkeit zu verdienen. Als Göttin könne sie schließlich zusammen mit Hercules auf dem Olymp bleiben. Zunächst etwas skeptisch, willigt Meg schnell ein, weiß sie doch, was sie an Hercules, der immerhin sein Leben für sie aufs Spiel setzte, hat. Tatkräftige Unterstützung erhält sie von Hercs geflügeltem Pferd Pegasus sowie vom pensionierten Heldentrainer Philoctetes.
Zunächst soll Meg die Doppelflöte der Athene finden, was ihr auch gelingt. Doch obwohl sie dafür ein todbringendes Ungetüm bezwingen musste, erscheint ihr die nächste Aufgabe, welche ihr anschließend eröffnet wird, ungleich schwieriger: Sie soll eine Seele aus der Unterwelt zurückholen. Und nicht einfach irgendeine Seele, sondern die Seele von Katerina – die Frau, mit der Megs Verflossener Aegeus anbändelte, gerade einmal zwei Wochen, nachdem Meg sich selbst dem Gott der Unterwelt verschrieben hatte, um ihn von einer schweren Krankheit zu heilen. Auf dem Weg wird Meg nicht nur in den Hades vordringen müssen, sondern auch in ihr eigenes Inneres …
„Wenn es eins gab, das Megara in ihrem kurzen Leben bereits gelernt hatte, dann war es, dass Liebe nur Ärger brachte.“
Disney feuert zurzeit aus allen Rohren: In jedem Medium wird man mit neuen Produkten überschüttet. Neben den vor allem die Nostalgieschiene bedienenden Live-Action-Remakes sind die zahlreichen Romanserien im Jugendbuchsektor beachtlich, die momentan eine Fortsetzung nach der anderen erhalten. Hier reihen sich die „Twisted Tales“ ein: In jedem Buch wird zu einem von Disneys Zeichentrickklassikern (ausgehend von einer „Was wäre, wenn …“-Frage) eine Alternativgeschichte gesponnen. Jen Calonita hat im Rahmen dieser Reihe bereits Stories zu Die Eiskönigin (Elsas Suche)und Schneewittchen (Spieglein, Spieglein) verfassen dürfen. Nun taucht sie mit Der Weg zum Licht in die Welt der griechischen Götter, Mythen und Legenden ein – bzw. in die Version jener Welt, wie sie in Disneys Hercules von 1997 zu sehen war ...
„Ohne darüber nachzudenken, wo du herkommst, wirst du nie verstehen, wohin du gehen musst.“
So ansprechend schön die Bücher der „Twisted Tales“ auch gestaltet sind, so fragwürdig sind die deutschen Titel. Da ist Der Weg zum Licht keine Ausnahme: Auf Englisch ist das Buch mit Go the Distance passenderweise nach der großen „Tschakkaa“-Ballade des Originalfilms benannt, während es auf Deutsch fast nach der Werbebroschüre einer ominösen Sekte klingt. Viel wichtiger ist aber natürlich die Frage, wie gut es Calonita gelungen ist, die Stimmung des Films einzufangen und dabei gleichzeitig eine unterhaltsame neue Geschichte in diesem Universum zu erzählen.
Hercules bediente sich zwar nur sehr frei an Motiven der griechischen Mythologie, bestach aber durch mitreißende Musik, markante Charaktere und eine originelle, lebhafte Optik. An einigen Stellen schafft es Calonita, die farbenfrohe, schillernde Ausdruckskraft des Originals ins Gedächtnis zu rufen und die Abenteuerlust der Leserschaft zu wecken. Auch ist es löblich, dass sie ihre Geschichte hier und da mit Elementen aus der griechischen Sagenwelt anreichert, die im Original keinen Platz hatten: So ist Zeus (dessen Eskapaden zu schildern sicher nicht jugendfrei wäre; Hades ist streng genommen der angenehmere Zeitgenosse) kein reiner Sympathieträger, der Hintergrund um Persephone und die Entstehung der Jahreszeiten wird eingeflochten, und man bekommt ein klassisches Fabelwesen der Antike – die monströse Empusa – geboten.
„Wenn du eine Göttin werden willst, musst du lernen, dass die Liebe keine Schwäche ist, sondern eine Stärke. Ich möchte, dass du lernst, verwundbar zu sein, dein Herz zu öffnen“
Während Herc im Originalfilm lernen musste, dass man einen wahren Helden an der Stärke seines Herzens misst, so geht es bei Megs Heldenreise (nicht nur in die Unterwelt, sondern auch in die eigene Vergangenheit) darum, ihre lang gehegten Überzeugungen – nämlich dass man das mit der Liebe lieber lassen sollte, da man doch nur enttäuscht wird, und dass man auf niemanden bauen kann außer sich selbst – zu hinterfragen. Aus der Prämisse erblüht die ein oder andere starke oder anrührende Szene. War Meg im Film allerdings eine Figur mit viel Persönlichkeit, geraten die Charaktere bei Calonita leider etwas blass. Einzig Hades‘ kaltschnäuziger, lässiger Humor blitzt gelegentlich auf. Auch der Handlungs-(oder Schicksals-?)faden rollt sich eher spannungsarm ab, da eine Spiegelung der klassischen Heldenreise mit entsprechenden Herkulesaufgaben schnell aus dem Fokus rückt und immer wieder ein neuer Haken geschlagen wird. Diese sind zwar nicht uninteressant, wirken aber oft so, als hätte Calonita sie sich spontan ausgedacht, wie sie ihr in den Kram passten. Der Plot hinterlässt dadurch einen holprigen Eindruck. Die Figurenentwicklung hätte von einer konsequenteren Story profitiert – und umgekehrt.
Fazit
Der Weg zum Licht gehört nicht zu den stärkeren Teilen der „Twisted Tales“, denn den Charakteren fehlt es an Feinschliff und die Handlung wirkt bemüht. In einzelnen Sequenzen lässt Calonita aber durchaus das gewisse Etwas des Originalfilms wieder aufleben und kann es sogar mit frischen Ideen unterfüttern. Diese positiven Ansätze machen das Buch für junge Disneyfans lesenswert.
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