Wenn die Haare das eigene Leben auf den Kopf stellen
TJ Powar ist beliebt, zielstrebig und klug - und nebenbei sieht sie klasse aus. Sie gehört zu den besten SchülerInnen des Debattierklubs an ihrer kanadischen High-School und im letzten Jahr vor dem Abschluss möchte sie dort nochmal alles geben. Gemeinsam mit ihrer Cousine Simran ist TJ ein eingespieltes Debattierteam. Als nach einem gewonnenen Wettbewerb ein Foto der beiden auf Instagram verbreitet wird und böse Kommentare zu Simrans Körperbehaarung die Runde machen, ist TJ entsetzt und wütend. Kurzerhand stellt sie sich selbst zur Debatte: Ab sofort gibt es für TJ keine Waxing-Termine mehr und alle Rasierer und Pinzetten landen im Mülleimer. Sie möchte beweisen, dass sie trotz ihrer Körperbehaarung schön sein kann. Niemals hätte TJ gedacht, dass diese Entscheidung ihr Leben vollkommen verändern wird …
Rasierschaum und -gel mit Pfirsich-, Apfel- oder Kokosgeruch, Rasierer unterschiedlichster Marken und Kosmetik für die Pflege danach - der Markt für die weibliche Körperenthaarung ist riesig groß. Kein Wunder, denn die meisten Frauen sehen es als alltägliche Routine an, die Beine, die Achseln und den Intimbereich von Flaum und sprießenden Haaren zu befreien. So auch TJ, bei der sich die ganze Sache aber noch viel umfangreicher gestaltet, denn mit einer kurzen Rasur unter der Dusche ist es bei ihr nicht getan. An den Armen, den Beinen, am Bauch, im Gesicht - überall wachsen bei ihr Haare. Der Besuch in Lulus Kosmetiksalon ist deshalb schon seit dem Teenageralter eine persönliche Pflicht - die damit einhergehenden Schmerzen inklusive.
Doch damit ist nun Schluss: Ihre Cousine und Debattierpartnerin Simran wurde aufgrund ihrer Monobraue und des zu erahnenden Oberlippenbarts zum Gespött der ganzen High-School und darüber hinaus gemacht. Als gläubige Sikh lehnt sie eine Rasur ab; die Haare gehören zu ihrem Körper dazu. Außerdem scheint Simran immun gegen das Gerede der Leute zu sein. Doch TJ stürzt die regelrechte Social-Media-Kampagne in eine tiefe Krise.
„Kann TJ Powar ihr behaartes, wahres Ich zeigen und trotzdem schön sein?“
Auf einer Karteikarte notiert TJ die Frage, um die sich in den kommenden Wochen und Monaten alles drehen wird. Niemals hätte sie erwartet, dass sich aufgrund ihrer von nun an sprießenden Körperbehaarung so viele Vertraute von ihr abwenden könnten. Ganz vorne mit dabei ist ihr Freund Liam, der sich regelrecht vor TJ zu ekeln beginnt und letztlich deswegen mit ihr Schluss macht. Doch damit ist es nicht genug: ihre Mutter, ihre Verwandten, Freundinnen und Freunde reagieren in einer Weise, mit der TJ nicht gerechnet hätte. Plötzlich ist sie selbst es, die gemobbt wird.
Dieser Debütroman der kanadischen Autorin Jesmeen Kaur Deo hat es wirklich in sich. TJ ist eine unglaublich starke, reflektierte und mutige Protagonistin, deren persönliche Entwicklung ein Vorbild „für alle haarigen Mädchen“, wie es in der Widmung steht, sein sollte. Es geht eben nicht darum, ein einfaches „Body-Positivity“-Statement abzugeben, sondern um viel mehr. Aussagen wie „Jeder Mensch ist auf seine Weise schön“ sind in vielen Fällen einfach nur leere Worthülsen, die gesellschaftlich erwartet werden. Doch, so stellt TJ fest, ist es in den meisten Fällen leider so, dass das Aussehen die entscheidende Rolle im sozialen Miteinander spielt. Ein paar Haare auf dem Bein einer Frau sind vielleicht okay, aber bitte nicht zu viele. Ein paar Pfund mehr auf den Rippen, na gut, aber bitte nicht ganz so schwer. TJ entlarvt anhand ihres sozialen Experiments, wie wenig divers und offen die Menschen um sie herum im Grunde genommen eigentlich sind. Sie geht ihren Weg allen Selbstzweifeln und aller Hoffnungslosigkeit zum Trotz - das ist ein wirkliches Statement.
Lust aufs Debattieren
Außerdem hat nach dieser Geschichte der eine oder andere Debattierklub vielleicht ein Mitglied mehr, denn TJs Hobby macht einfach Lust aufs Streiten, Argumentieren und Überzeugen. Jeder Wettbewerb lässt einen beim Lesen mitfiebern und Pro und Kontra hinterfragen. Es wird politisch, emotional und persönlich debattiert. Einmal mehr wird deutlich, wie wichtig es ist, sich seine eigene Meinung zu bilden und zu verteidigen, Gegenseiten anzuhören, zu widerlegen oder sich vielleicht selbst überzeugen zu lassen.
Natürlich darf in diesem Coming-of-Age-Roman auch die Liebe nicht fehlen. Nach dem Desaster mit Liam wünscht man sich für TJ jemanden, der sie so akzeptiert wie sie ist. Egal ob haarig oder nicht. Doch bevor TJ jemand anderen lieben kann, muss sie erstmal anfangen sich selbst zu lieben. Und so bleibt es nicht in nur dieser Sache bis zum Ende spannend.
Fazit
Ein Jugendbuch, das sich nicht in den Body-Positivity-Mainstream einfügt, sondern viel tiefer geht. Diese Geschichte macht nachdenklich und geht uns alle etwas an. Wärmstens empfohlen!
Deine Meinung zu »Der beste Beweis bist du selbst«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!