Einfach mehr Luft

Hardcover, 160 Seiten

ISBN: 9783702659776

Einfach mehr Luft
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Theresa Mürmann
8101

Jugendbuch-Couch Rezension vonMär 2023

Die Vergangenheit lässt einen nie los

Ben ist 15, liebt sein Pferd Levin über alles und macht gerade die Übungsstunden für seinen Führerschein. Außerdem fährt er gerne zu seiner Urgroßmutter, die ihm Geschichten und Anekdoten aus der gemeinsamen Familiengeschichte erzählt: Von ihrem Mann, dem „Drachentöter“, der ein österreichischer Widerstandskämpfer war. Oder von Bens Großvater Moritz, den seine Flucht vor den Nazis sein Leben lang nicht losgelassen hat. Als der 100. Geburtstag seiner Urgroßmutter bevorsteht, ist eigentlich schon klar, dass dieses Familienfest mit allen Generationen auf einem Fleck für Gesprächsstoff sorgen wird.

Bücher, die die Geschichte einer Familie erzählen, haben es in aller Regel so an sich, besonders umfangreich zu sein. In diesem Fall trifft genau das Gegenteil zu, denn – und das ist nicht unbedingt negativ gemeint – komprimierter hätte der Inhalt nicht dargestellt werden können. Ein Glück, dass es am Anfang einen Stammbaum zur Orientierung gibt. Zu diesem muss man auch während des Lesens hin und wieder mal zurückblättern. Denn immerhin reichen die Erzählungen bis zu vier Generationen zurück.

Fragt man nach einer kurzen Zusammenfassung der Handlung, ist dies hier gar nicht so leicht zu beantworten. Denn im Grunde genommen haben wir es mit einzelnen Episoden, Handlungssträngen oder Erinnerungen zu tun, die zwar flüssig miteinander verknüpft werden, aber keine wirkliche Entwicklung von Anfang bis Ende bedeuten.

Der Motor des Ganzen ist der 100. Geburtstag von Bens Urgroßmutter. Sie weiß alles über ihre Verwandten sowie deren Schicksale während des Zweiten Weltkriegs und des Nationalsozialismus. Dabei geht es nicht um die Einteilung in Opfer und Täter, denn in Bens Familie überwiegen die Helden: zum Beispiel sein Urgroßvater als österreichischer Widerstandskämpfer oder sein Großonkel als politisch aktiver Student gegen die alten Nazis in den 60er Jahren. Doch die Ereignisse der Vergangenheit hallen auch noch in der Gegenwart nach.

„ …jedenfalls zahlen die Guten immer einen hohen Preis für ihr Gutsein, und das erst macht sie zu Helden“

Immer mit einer Prise Sarkasmus und Humor versehen, erzählt Ben von den Marotten seiner Familienmitglieder, die sich aus den Erlebnissen ihrer Vergangenheit entwickelt haben: Sein Urgroßvater war ein bisschen tyrannisch, sein Großvater krankhaft sesshaft und rückte bei Kontrollen niemals die Ausweise heraus (was erst recht verdächtig schien), seine Mutter wittert hinter allem und jedem einen Nazi und sein Onkel, der Familienhistoriker, ist ein „Jedi-Ritter undercover“. Bei jeder einzelnen Figur ist erkennbar, wie sehr die Traumata der eigenen Geschichte das Leben des Einzelnen, aber auch der Familie geprägt haben.

Tatsächlich könnte man sich fragen, warum das Potential, das in den Geschichten der einzelnen Familienmitglieder liegt, nicht vollends entfaltet, sondern auf 144 Seiten reduziert wurde. Denn bei den ganzen Figuren den Überblick zu behalten, ist nicht ganz einfach und stört häufig den Lesefluss. Jedoch könnte vielleicht auch gerade dies die zentrale Message sein: In jeder Familie lauern so viele Anekdoten und Erzählungen – man muss nur fragen und neugierig bleiben. Stück für Stück lernt man sich dabei auch selbst kennen. Denn die Vergangenheit der Eltern, Großeltern und weiterer Generationen färbt auch auf einen selbst ab.

Fazit

Ein beeindruckender Familienroman, der vielleicht nicht alle Fragen beantwortet, aber zum Fragen in der eigenen Familie anregt.

Einfach mehr Luft

Alexandra Holmes, Jungbrunnen

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