Fürs Leben zu lang

  • Tulipan
  • Erschienen: August 2023
  • 0

Hardcover, 160 Seiten

ISBN: 9783864295706

Fürs Leben zu lang
Fürs Leben zu lang
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Theresa Mürmann
9101

Jugendbuch-Couch Rezension vonNov 2023

Eine erfrischende, etwas skurrile Coming-of-Age Geschichte

Von ihren Eltern hat Magali Weill eines dieser teuren Notizbücher mit Goldschnitt und Lesebändchen zum dreizehnten Geburtstag geschenkt bekommen. Wahrscheinlich wollten sie, dass ihre Tochter auch anfängt, Tagebuch zu schreiben wie Malve, Magalis Schwester. Aber was gibt es schon über sie zu berichten, außer ihrer Körpergröße? Wer hat als Mädchen schon eine Zielgröße von 1,89 bis 1,92? Für Jungs wie Joël Hummel, den Magali als perfekt für ihren ersten Kuss erachtet, ist sie in Wahrheit einfach nur uninteressant. Also, warum nicht einfach Tagebuch über das Leben anderer Leute schreiben? Das ist doch viel spannender.

Und so fängt Magali an zu schreiben und merkt dabei wahrscheinlich selbst gar nicht, wie wunderbar lesenswert, humorvoll, berührend und verrückt zugleich ihre eigene Coming-of-Age-Geschichte ist.

„Denn wenn man einmal angefangen hat, sich die Menschen genauer anzusehen, ist fast alles, was man dabei entdeckt, auf irgendeine Weise bemerkenswert.“

Über die Menschen in Magalis Umfeld kann man wirklich eine Menge schreiben: Da ist schon alleine ihre Familie, die gefühlt jeden Tag ein neues Diskussionsthema auf dem Tisch hat. Meistens geht es dabei um Magalis Schwester Malve, die eigentlich für ihre Abiprüfungen lernen müsste, aber viel zu sehr damit beschäftigt ist, sich selbst zu finden. Nach dem esoterischen Meditationstypen, den sie mit nach Hause gebracht hat, folgt der coole McV samt neuem Look: eine braune Cordweste mit zweimal vier Knöpfen. Während Magalis Papa, Arzt, bei den lautstarken Auseinandersetzungen über den männlichen Besuch in der Regel schweigt, geht ihre Mutter, Studienrätin und Seneca-Expertin, in die Konfrontation mit Malve. Nicht einfach, wenn man sich, wie Magalis Eltern, für eine „bewusste Elternschaft“ stark macht.

Aber damit nicht genug, denn außerhalb ihrer Wohnung laufen Magali die aufregenden Geschichten für ihr Tagebuch buchstäblich über den Weg. Da ist der alte Herr Krekeler, 98 (!) Jahre alt, und immer noch fit genug, um joggen zu gehen. Die Familie Siemerding mit ihren unzähligen kleinen Kindern, chronisch überforderten Eltern und dem tollsten Husky der Welt, Snow. Und natürlich Joël Hummel, von dem Magali nicht selten aufregende Kussträume hat.

„Keiner der großen Männer knickte ein, wenn er sich mit einem anderen Mann unterhielt, ganz egal, wie der gewachsen war.“

Keine Frage, dieses Buch ist auf vielerlei Ebene ein recht anspruchsvolles Jugendbuch. Aber nicht zu anspruchsvoll, dass es nur von Eltern und Pädagog*innen aus dem Regal genommen wird. Zwischen den Zeilen ist so viel versteckt: Wie geht das eigentlich, richtig leben? Was bedeutet es zu sterben? Warum sind große Frauen irgendwie seltsam, große Männer aber anscheinend nicht?

Bereits mit zehneinhalb hat Magali ihre Tage bekommen, kennt ihren Körper in der Hinsicht schon in- und auswendig. Was sie noch nicht weiß: Wie geht das mit dem Küssen? Und warum sollte sie, die viel zu groß ist, eigentlich jemand küssen? Magali beschäftigt sich mit Themen, die in ihrem Alter vermutlich die meisten Teenies quälen. Gleichzeitig ist sie ein wahnsinnig reflektierter Charakter. Gerade in Bezug auf das Rollenbild Mann-Frau kann sie nicht begreifen, was da eigentlich in manchen Köpfen vor sich geht.

Kein Wunder, dass ihr der pubertierende Kieran, Enkel von Herrn Krekeler, ziemlich auf die Nerven geht mit seinem nervigen Macho- und Besserwissergehabe. Aber als Herr Krekeler von einem auf den anderen Tag beschließt, dass es doch nun mal an der Zeit sei, zu sterben, scheinen Magali und Kieran einen Draht zueinander zu finden. Keine Sorge, Kitsch und große Gefühle gibt es in dieser Geschichte nicht.

Vielmehr findet Magali Antworten auf wahnsinnig viele Fragen, steht für sich ein, überrascht dabei nicht nur einmal ihre eigene Familie und schafft es, Dinge anzusprechen, die so doch sonst nur ihrem neuen Notizbuch erzählt hätte. Eine Geschichte voller Stärke und Mut, einem Hang zum Skurrilen und authentische Figuren, die allesamt einen Tagebucheintrag verdient haben.

Fazit

Ein absolut empfehlenswertes Jugendbuch, das sich nicht nur an 12-13-Jährige richtet. Unterhaltsam, tiefgründig und witzig - eine Mischung, die überzeugt.

Fürs Leben zu lang

Nikola Huppertz, Tulipan

Fürs Leben zu lang

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