Zwei Brüder, zwei Wege - eine Familie wird im dritten Reich auseinandergerissen
Sicher können die Kleinmanns nicht behaupten, dass ihr Leben in Österreichs Hauptstadt Wien im Jahr 1938 einfach ist. Vater Gustav unterhält eine kleine Polsterei und schafft es damit so gerade, die Familie in einer kleinen Wohnung über Wasser zu halten. Aber es reicht erst einmal für alles und niemand geht abends hungrig zu Bett. Es könnte ein gutes Leben sein, wären da nicht die ständigen Gerüchte und Befürchtungen darüber, dass der deutsche Kanzler Adolf Hitler Österreich seinem Land einverleiben will. Für viele Österreicher würde sich damit vielleicht nicht einmal so viel ändern, aber die Kleinmanns gehören dem jüdischen Glauben an und das, was geflüchtete deutsche Juden über ihr Leben unter dem Naziregime Deutschlands berichten, klingt grauenhaft. Sie erzählen von Diskriminierungen, von Gewalt und Folter und nicht zuletzt von Lagerhaft. Entsetzt lauschen die Kleinmanns diesen Aussagen und ahnen noch nicht, dass diese Schrecknisse einigen ihrer Familienmitglieder bevorstehen.
Eine Neuerzählung für junge Menschen
Der US-amerikanische Autor, Historiker und Archäologe Jeremy Dronfield hatte bereits in dem Buch Der Junge, der seinem Vater nach Auschwitz folgte über das Schicksal der österreichischen Familie Kleinmann berichtet. Viele Leserinnen und Leser dieses Buches wandten sich anschließend an ihn und regten an, es über eine einfachere Fassung auch Kindern zugänglich zu machen. Dronfield erzählte daher die Geschichte der Kleinmanns neu, recherchierte dazu aber auch neue Zusammenhänge. In der englischen Orgininalfassung „Fritz and Kurt“ ist der Roman für Acht- bis Zwölfjährige frei gegeben.
Dronfield beginnt den Roman damit, dass er seinem jungen Publikum die Grundbegriffe der damaligen Geschichte und der Politik erklärt. Hier macht sich allerdings auch zum ersten Mal die Schere zwischen den Altersstufen bemerkbar, denen sich das englische Original und die deutsche Übersetzung widmen. Der Autor erklärt die wichtigen Zusammenhänge kindgerecht und in einer sehr einfachen Sprache, so dass ich mich manchmal fragte, ob sich die tatsächlich jugendlichen Leser, an die sich die deutsche Ausgabe wendet, nicht unterfordert fühlen. Dieser Stil ändert sich allerdings mit Fortschritt des Buches, wobei es aber auch sicherlich unmöglich ist, die Schrecknisse der Konzentrationslager in einer altersgerechten Sprache zu vermitteln.
Dronfield schildert das Martyrium von Fritz Kleinmann und dessen Vater Gustav, die in Wien die Reichspogromnacht erlebten, verhaftet und in das Lager Buchenwald deportiert wurden. Von dort setzte sich ihr Leidensweg im Vernichtungslager Auschwitz und zuletzt im Todesmarsch in das Konzentrationslager Mauthausen fort. Zeitgleich wurde der jüngste Sohn der Familie, Kurt Kleinmann, in den USA von Pflegeeltern aufgezogen und parallel zu den Schrecknissen des Lageralltags wird auch von seinem Leben erzählt. Seine Erzählanteile fallen dabei aber wesentlich kürzer aus als die seines Bruders und Vaters, auch erfährt der/die Leser/*in auch recht wenig darüber, wie es in dem kleinen Kurt aussah, der allein die große Reise antrat und von fremden Menschen aufgenommen wurde.
Das Buch berichtet detailliert und historisch genau über die einzelnen Lager und den Weg von Vater Gustav und Sohn Fritz. Vieles ist - dem Thema geschuldet - grausam und brutal, doch werden die Misshandlungen, die die Eingesperrten erleben müssen, als Fakt erwähnt, aber nicht sonderlich detailreich ausgewalzt. Dennoch stellten sich mir bei der Lektüre einige Fragen, so zum Beispiel zur Person des ehemaligen Soldaten Alfred, der Fritz unerwartet zu Hilfe kommt und als ehemaliger Kämpfer der Ostfront geschockt ist über die Behandlung der Juden. Er verkörpert die „freundlichen Deutschen“, die von der Verfolgung der Juden nichts wussten - wie sie selbst sagten. Hätte aber den Soldaten, die in Russland kämpften, nicht auffallen müssen, wie die Zivilbevölkerung im Anschluss der Eroberung der jeweiligen Gebiete von der SS behandelt wurden und welches Schicksal insbesondere den Juden drohte? Dronfield erzählt auch, dass einige Verwandte der Familie mit Nichtjuden verheiratet waren und sich somit nicht in unmittelbarer Gefahr befanden. Dabei erwähnt er allerdings nicht, dass auch diese Menschen schwersten Diskriminierungen und Ausgrenzungen ausgesetzt waren und auch ständig in Gefahr standen verhaftet zu werden. Ich halte es auch nicht für richtig, den Begriff der „Reichskristallnacht“ zu verwenden, war das doch ein Begriff aus dem Nazivokabular und romantisierte die Ausschreitungen gegen die jüdischen Mütbürger*innen in der Nacht am 9. November 1938.
Ein Bild KANN mehr als 1000 Worte sagen....
Unentschlossen bin ich darüber, was ich von den Zeichnungen David Ziggy Greens halten soll. Sicherlich können Zeichnungen oder auch Comics beeindruckend über die Verbrechen des dritten Reiches und vom Schicksal der Menschen, die ihnen ausgesetzt waren, berichten. Hier ist sicher der Katz- und Maus-Comic des Zeichners Art Spiegelmann das beste Beispiel. Natürlich gehen aber Greene und Spielgeman das Thema künstlerisch unterschiedlich an und so unterscheiden sich Spiegelmans anrührende und beängstigende Zeichnung in vielen Punkten von Greenes Darstellungen. Ich empfand Greenes Zeichnungen manchmal als zu harmlos. Hier muss aber jeder Leser selbst zu einem Urteil kommen - ehrlich gesagt, ich bin weiterhin unschlüssig.
Fazit
Jeremy Dronfield präsentiert eine neue und weiter recherchierte Fassung seines Romans „Der Junge, der seinem Vater nach Auschwitz folgte“. In diesem Fall wendet sich diese Aufarbeitung an Kinder und Jugendliche und in weiten Teilen gelingt Dronfield eine altersgerechte Aufarbeitung dieses wichtigen Themas.
Deine Meinung zu »Fritz und Kurt «
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!