Die armen, reichen Mädchen
Chicago im Jahr 1910: Die Stadt brummt nur so vor Energie, langsam beginnen die ersten Automobile den Pferden den Rang abzulaufen und die Menschen werden sich ihrer Rechte bewusst. Mittendrin: die Davenports. Sie haben mit eleganten Fuhrunternehmen ihr Vermögen gemacht und stehen an der Schwelle zu einer neuen Zeit. Was sie aber von anderen schwerreichen Familien dieser Epoche unterscheidet, ist ihre Hautfarbe. Sie sind schwarz und damit sind ihre jüngeren Mitglieder gerade mal zwei Generationen von der Zeit entfernt, als ihre Großeltern noch auf einem Baumwollfeld standen und als menschliches Eigentum behandelt wurden. Da ist Olivia, die sich so für Kleider und Mode interessiert, bis sie einen jungen Bürgerrechtler kennenlernt und erfährt, dass nicht nur die Mode die Welt bestimmt; da ist ihre Schwester Helen, deren große Leidenschaft die Motoren der fortschrittlichen, unbekannten Automobile sind; und ihr Bruder John. Er soll einmal das Geschäft übernehmen, Olivias Freundin Ruby macht sich große Hoffnungen auf ihn, aber ihn scheint mehr als eine Freundschaft mit dem Dienstmädchen Amy-Rose zu verbinden. Ihre Geschichten werden hier erzählt und wenn sich auch alle ein Happy End wünschen, bleibt letztendlich die Frage, ob das wundervolle Ende für sie alle eintreffen wird.
Eine reiche schwarze Familie im Jahr 1910 - das sollte ein spannendes Thema sein...
Die amerikanische Autorin Kristal Marquis lässt in ihrem Roman über die reiche, einflussreiche Familie Davenport verschiedene Frauen zu Wort kommen. Da sind zum einen die beiden Töchter der Familie Oliva und Helen, dann Olivias Freundin Ruby und last but not least das Dienstmädchen Amy-Rose, das im Familienstammsitz „Freeport Manor“ für sie alle arbeitet. Alle haben ihre Wünsche und Träume und kapitelweise stehen sie im besonderen Fokus des Romans. Das Buch selbst besticht insbesondere durch seine tolle Aufmachung. Vor einer leuchtend gelb eingefärbten Stadtszene des - vermutlich - alten Chicagos betrachtet eine wunderschöne junge Frau in einem traumhaften Kleid nachdenklich die Leserinnen und Leser und stimmt diese auf die folgende Geschichte ein.
Allein die schöne Präsentation des Buches gibt schon eine gewisse Richtung vor. Wer glaubt, dass im Buch eine ernsthafte Auseinandersetzung der Geschichte der schwarzen Bürgerinnen und Bürger in den USA nach dem nicht lange zurückliegenden Sezessionskrieg erfolgt, der wird enttäuscht. Erzählt werden hauptsächlich die Liebesgeschichten der Protagonistinnen. Möglicherweise hängt das damit zusammen, dass in den USA vieles im Geschichtsunterricht gelehrt wird, wovon wir hier nicht viel erfahren. So werden zum Beispiel die „Jim-Crow-Gesetze“ kurz und schmerzlos als Nebeninformation in die Handlung eingeworfen, wer allerdings mehr darüber erfahren möchte, der muss selbst recherchieren. Immerhin - mir waren diese Gesetze bis zu diesem Roman nicht bekannt und das Buch brachte mich dazu, über dieses finstere Kapitel der USA nachzulesen.
Herz und Schmerz - keine Frage der Hautfarbe
Krystal Marquis erzählt recht „normale“, hergebrachte Liebesgeschichten, die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts spielen. Vieles führt in eine alte Zeit zurück, die uns mit ihren eigenen Vorschriften und Regeln unbekannt und spannend vorkommen. Einiges wirkt aber auch unpassend und sprachlich gesehen gelegentlich zu sehr der jetzigen Zeit entnommen. Als eigenartig und zu konstruiert empfand ich vor allem die Rolle von Helen Davenport, die sich nachts heimlich in die Automobil-Werkstatt ihres Bruders schleicht, um dessen Fahrzeuge auf Vordermann zu bringen. Selbst in der heutigen Zeit würden reiche Familien diese Aktivitäten ihrer behüteten Töchter, die möglicherweise viel über Mode und gutes Benehmen gelernt haben, mit Befremden betrachten. Im Jahr 1910 fragte ich mich aber insbesondere, wie denn eine junge Frau überhaupt erst an technische Kenntnisse - oder beispielsweise dazu, wie ein Schaltplan zu lesen ist - kommt. Der Beruf des Automechanikers ist immer noch ein Lehrberuf und wer ohne Vorkenntnisse an Fahrzeugen herumschraubt, dürfte sich im Großen und Ganzen und selbst bei einfachen Motoren so anstellen, wie ein Kind, das einen Wecker zerlegt.
Wer sich auf die reinen Liebesgeschichten der Heldinnen beschränkt, dürfte sich dagegen gut unterhalten fühlen. Hier wird aber auch nichts Neues erzählt. Es ist sicher nicht ungewöhnlich, dass die Frage des Geldes und wer davon über wieviel verfügt, bei der Wahl eines Ehemannes oder einer Ehefrau nicht nur in der damaligen Zeit eine gewisse Rolle spielt. Als nervend empfand ich dagegen insbesondere die regelmäßige Schilderung, wer wonach riecht und das Sandelholz offensichtlich der männliche Duft der Saison sein dürfte - das hätte ich auch sicher schneller verstanden. Als großes Manko empfand ich auch das plötzliche Ende des Romans. Immerhin - eine Geschichte wird fertig erzählt. Wie die anderen ausgehen, steht dagegen völlig in den Sternen. Die englische Fortsetzung ist dann für Mai 2024 angekündigt, möglicherweise klären sich dann einige Fragen, allerdings dürften die deutschsprachigen Leserinnen und Leser noch ein gutes Stück länger warten müssen.
Fazit
Krystal Marquis erzählt die Geschichte der reichen, schwarzen Mädchen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Chicago und dem Grunde nach gleichen diese den Geschichten der reichen, weißen Mädchen dieser Epoche. Die große Chance, einen besonderen Roman vor dem Hintergrund der schwarzen Bürgerinnen und Bürger in den USA zu erzählen, wird damit vertan und das einzige was bleibt, ist ein klassischer Liebesroman für Heranwachsende.
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