Ich trinke mir die Welt schön
Endlich der 16. Geburtstag! Oscar hat diesem Moment entgegengefiebert. Denn nun kann er ganz legal Bier kaufen. Das muss gefeiert werden. Natürlich darf da auch Oscars bester Freund Flinte nicht fehlen. Und dessen Mädchen, Julia. Genau das aber ist Oscars Problem. Denn er steht auf Julia, obwohl sie doch Flintes Mädchen ist. Da hilft es auch nicht, dass sich Bella um Oscar bemüht. Bella ist nicht so heiß wie Julia, und Bella hält sich bei den Partys der Clique jeweils zurück. Um sich nicht der Realität zu stellen, und weil zu seiner Geburtstagsparty fast alle auch noch etwas aus der Hausbar ihrer Eltern beisteuern, dröhnt sich Oscar zu. Vollgetrunken flößen Oscar und der Kumpel Keil einem Hund Alkohol ein, bis der nicht mehr stehen kann. Flinte filmt das Ganze und stellt es ins Netz. Für Oscar und Keil hat das Konsequenzen. Sie müssen Sozialstunden ableisten und werden zur Suchttherapie angehalten. Doch Oscar will nicht sehen, dass er ein Alkoholproblem hat. Bis ihm auffällt, dass Flintes Freundschaft nicht mehr das ist, was sie mal war und auch Julias Glanz verblasst.
Es stimmt nachdenklich
Das örtliche Setting ist unspektakulär, die Protagonisten könnten aus dem Nachbarblock stammen und die Mechanismen der Clique rund um Oscar laufen tausendfach so oder ähnlich in Gruppen ab. Genau das aber ist die Stärke dieses Romans. Er ist so dicht bei den Menschen, dass man sich unvermittelt als Teil der Gruppe um Oscar wähnt. Zwar bleibt man weitgehend bei der Außensicht, doch die Autorin Annette Mierswa deckt immer wieder auch kleine Sequenzen aus dem Leben von Oscar auf und macht die Leserinnen und Leser dadurch zu nahen Mitwissern. Obwohl deutlich ist, dass Oscar seinen Alkoholkonsum längst nicht mehr im Griff hat, schwingt tief im Inneren ein Hauch Verständnis mit. So bleibt Oscar von Anfang bis Ende die tragende Figur, die man am liebsten wachrütteln würde, die man im Grunde aber trotz allem mag. Auch Bella ist eine Sympathieträgerin und man nimmt ihr die Rolle der echten Freundin mühelos ab. Anders Flinte und Julia, mit denen man während der ganzen Geschichte nicht richtig warm wird. Da hilft es nicht, dass auch Flinte mit schwierigen Verhältnissen zu kämpfen hat und Julia mit sich selber nicht im Reinen ist. Zu sehen, wie dicht die Jugendlichen hier am totalen Absturz balancieren, stimmt nachdenklich und verpasst einen Kloss im Magen.
Etwas gar viel Sentimentalität
Der Roman hat also alles, was man sich von einem guten Roman zu einem brisanten Thema wünscht. Bis zu dem Moment, in dem Oscar und Keil anfangen, ihre Sozialstunden in einem Tiergnadenhof abzuarbeiten. Hier gleitet die Geschichte unvermittelt in sehr viel Sentimentalität ab und verliert diesen starken Charakter, der den ersten Teil der Geschichte prägt. Es scheint, als würde plötzlich eine ganz andere Story erzählt. Zwar wird Oscar zunächst auch in dieser Phase immer wieder von seinem Drang nach Bier überwältigt, doch nach und nach erkennt er, was der Alkohol aus ihm und seinen Freunden tatsächlich macht. Das gelingt unter anderem durch die Zuneigung just jenes Hundes, den er in seinem Alkoholexzess beinahe getötet hat. Dieses einzelne Detail könnte man als kleinen Ausrutscher gelten lassen, doch steht es symptomatisch für den zweiten Teil des Buches. Damit verliert sich diese geballte Wucht sehr schnell und es läuft zu stark in eine Happy-End-Geschichte hinaus, um noch wirklich aufzurütteln.
Fazit
Schade, hier ist durch das Bemühen, für die Institution Tiergnadenhof «Werbung» zu machen, viel Potenzial verloren gegangen. Die starke Geschichte über die trinkenden Jugendlichen bekommt dadurch zu stark Schlagseite, um den anfänglichen Höhenflug beibehalten zu können.
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