Beeindruckend gut!
Eigentlich hat Sally sich genau das gewünscht. Dass Felix reumütig zurückkommt und seinen Fehler einsieht. Dass er wieder mit ihr zusammen sein will. Doch als er schließlich vor ihrer Tür steht, ist sie sich nicht mehr so sicher.
„Felix zieht die Augenbraue hoch. „Du lässt mich nicht rein?“
„Weder ins Haus noch in mein Bett“, entgegne ich.“
Es ist Lockdown im Dezember. Sally und ihre Familie sitzen zu Hause fest. Wie alle anderen auch. Die Welt versucht das Virus in den Griff zu kriegen und dieser Stopp führt dazu, dass Sally viel Zeit hat. Zeit nachzudenken, während sie mit ihren Geschwistern Charlie, Franny, Henry und ihrer Mutter zuhause sitzt. Zuhause, das ist das alte, schöne Haus, das ihre Mutter Marianne von ihrer Oma Eleanor geerbt hat.
Sally denkt vor allem über Felix nach. Und über sich. Wie sehr sie die Trennung verletzt hat. Aber nach und nach wird ihr auch klar, wie wenig sie „sie selbst“ mit ihm war. Sich nach ihm gerichtet hat. Wie stark seine beiläufig abwertenden Kommentare dazu geführt haben, dass sie sich verstellt und versteckt. Eines Tages zieht Leni ein, Mariannes Volontärin. Ungefragt. Marianne hat es einfach entschieden. Die Geschwister arrangieren sich damit. Franny, Henry und Charlie mögen sie sogar. Sie macht alles richtig: Ist unaufdringlich, backt und kocht, ist aufmerksam. Doch Sally ist sie ein Dorn im Auge. Denn Sallys Mutter spricht in höchsten Tönen von Leni. Und seit Sally vor zwei Jahren zufällig erfahren hat, dass sie kein Wunschkind, sondern ein „Unfall“ war, leidet sie darunter und fühlt sich nicht gewollt. Doch immer öfter stellt sie fest, dass sie Leni mag, ob sie will oder nicht.
„Charlie war ein Wunschkind. Das hat er jetzt davon.“
Die ganze Geschichte spielt sich in nur vier Wochen ab. Der Lockdown macht diese Story zu einem Kammerspiel. Keiner darf raus und so sitzt die ganze Familie zusammen zuhause.
Charlie, der Älteste, studiert, obschon er lieber Koch werden würde. Er ist gerade verlassen worden und ist deshalb wieder zuhause eingezogen. Henry ist elf. Das Küken. Er müht sich im Homeschooling. Franny: Veganerin, Feministin und färbt ihre Haare in einem Rot, das alle Handtücher ruiniert. Marianne arbeitet immerzu, raucht Kette, trinkt schwarzen Tee und kommentiert ungefragt die Lebensentscheidungen ihrer Kinder.
Das Ganze ist hochexplosiv. Und als sie, ohne ihre Kinder zu fragen, Leni einlädt. eine Weile bei ihnen zu wohnen, weil sie nach ihrer Trennung nicht weiß, wohin, geraten die die unausgesprochenen Dinge, die unter der Oberfläche schlummern, in Bewegung und es kommt zum großen Knall.
„Es ging nie darum, ob ich geliebt werde, es ging nicht um andere. Es ging um mich.“
Es ist bemerkenswert, wie präzise und schmerzhaft Anne Freytag den Weg von Sally erzählt. Sally erlebt in den zwei Jahren im Grunde ihren persönlichen Lockdown. Seit dem Abend, an dem ihre Mutter die Geschichte ihrer Zeugung wie eine lustige Anekdote erzählt hat. Es war „ein Unfall“, so hatte Marianne es erzählt und alle hatten gelacht. Doch diese Anekdote torpediert Sallys angeknackstes Selbstwertgefühl. Nicht gewünscht zu sein, das Gefühl wird immer größer und Sally zieht sich immer mehr in sich zurück.
Nach außen brav und angepasst. Sie bietet nie Anlass zu Streit, ordnet sich dem Regiment ihrer Mutter klaglos unter. Und auch in ihrer Beziehung zu Felix, achtet sie darauf so zu sein, wie er sie am liebsten mag. Dabei verliert sie sich selbst und wird stumm. Bis Leni auftaucht und sie unverhofft wieder sich selbst spürt. Ihre Wünsche, ihre Bedürfnisse und sich schließlich auf dem Weg macht sie selbst zu sein.
Fazit
Eine wahnsinnig dicht erzählte Geschichte über Identität und Ablösung. Beeindruckend gut geschrieben. Anne Freytags Bücher kann man nicht nur lesen, sondern immer auch fühlen. Absolut empfehlenswert.
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